Kapitel 3

Kapitel 3 zeigt uns eine neue Seite des Tages Jahwes. Dieser Tag war schon zum voraus als nahe angezeigt worden bei Gele­genheit des Einfalls der Heuschrecken (Kap. 1, 15). Er ist in Vers 31 desselben Kapitels, beim Einfall des Assyrers — wovon die Heuschrecken ein Vorbild waren — in Verbindung mit voraus­gehenden Zeichen als kommend und nahe dargestellt. Endlich sehen wir ihn in Kapitel 2, 11 als schon da, weil dort der Angriff des Assyrers Tatsache wird.

Dann haben wir gesehen, dass infolge der Buße Judas und Jerusalems der Assyrer vernichtet und der Heilige Geist auf den Überrest und auf alles Fleisch ausgegossen wird. Der "Tag Jahwes" zeigt uns, dass alle gegen Jerusalem versammelten Nationen vernichtet werden müssen. Es ist der Tag ihres Gerichts, ebenso wie der der Vernichtung des Assyrers. In der Tat finden die Ereignisse in Kapitel 2 und 3 miteinander statt und sind in Joel nur getrennt, um den Hauptgegenstand dieses Propheten, den Angriff und die Vernichtung des Assyrers, hervorzuheben. Wir haben Grund anzunehmen, dass der Assyrer im Gericht über alle Nationen, das uns in Kapitel 3 gezeigt wird, mit inbegriffen ist; er wird aber dort wohl darum nicht genannt, weil sein besonderes Los schon in Kapitel 2 im einzelnen behandelt ist. Wir wissen sogar schon aus dem Propheten Daniel und aus der Offenbarung Johannes, dass sein Gericht dem der durch das Tier und den falschen Propheten dargestellten abtrünnigen Nationen nicht vorausgehen, sondern gleich nachfolgen wird, was also chronologisch Kapitel 3 vor Kapitel 2 setzen würde. Um den Tag Jahwes klar zu machen, sind für ihn in beiden Kapiteln dieselben Ausdrücke gebraucht, womit gezeigt wird, dass es sich eben um ein und denselben "Tag" handelt: "Nahe ist der Tag Jahwes im Tal der Entscheidung" (Kap. 3, 14; 2, 1). Was wir in bezug auf die Übereinstimmung dieser Ereignisse dargestellt finden, wird bestätigt durch die Tatsache, dass die tausendjährige Segnung ebenso nach dem Tal Josaphat erwähnt wird, wie nach der Niederlage des Assyrers (Kap. 2, 23—27; 3, 4—7, 18—21).

Somit werden die verschiedenen Ereignisse der Endzeit mit dem Namen: Tag Jahwes bezeichnet; und zwar haben wir es in Kapitel 3 mit der Gesamtheit des letzten Dramas zu tun.

Infolge der Buße hat sich ein Überrest gebildet aus Juda und Jerusalem, auf den der Heilige Geist ausgegossen worden ist. Den Entronnenen ist Befreiung geworden für Juda und die "Übriggebliebenen" alle, die Jahwe berufen hat. Das sind die Tage, da Gott die Gefangenschaft Judas und Jerusalems wenden wird (Kap. 3, 1); denn wie schon oben bemerkt, handelt es sich in Joel nur um diesen unter beschränktem Gesichtswinkel gesehenen Überrest, nicht um die gesamte "Gefangenschaft", d. h. den Überrest Jerusalems und Judas. Damit Seinem Volk eine volle Befreiung bewirkt werden kann, müssen am Tag Jahwes alle Nationen (Gojim), die Juda und Jerusalem "zertreten" haben, demselben Gericht anheimfallen, wie der Assyrer: "Ich werde alle Nationen versammeln und sie in das Tal Josaphat hinab­führen" (Kap. 3, 2).

Man hat über das "Tal Josaphat" schon viel geschrieben und diskutiert. Eine Überlieferung, die keine Stütze im Wort Gottes hat, will es örtlich auf das Tal des Kidron, das Jerusalem vom Ölberg trennt, festlegen. Diese Überlieferung, die heute noch unter den Juden und Mohammedanern Geltung hat, stammt höchstens aus den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung. Ganz allgemein wird das jüngste Gericht in das Tal Josaphat verlegt, weil das Gericht der lebenden Nationen, wovon doch die Prophezeiung so oft redet, und hier sogar im besonderen, den meisten verborgen ist. Diese Legende ist wohl zurückzuführen auf den Umstand, dass Jerusalem (Kap. 3, 16; Sacharja 14, 1) in Verbindung mit dem Schauplatz des Gerichts steht. Jedoch soll noch kann der Schauplatz selbst örtlich festgelegt werden. Selbst das für "Tal" gebrauchte Wort (hebräisch Emeq) bezeichnet niemals ein enges Tal, wie das Tal zwischen Jerusalem und dem Ölberg z. B. ein enges Tal ist.

In allererster Linie muss daran gedacht werden, dass das Wort Josaphat (= Jahwe richtet) in direkter Beziehung zu unse­rem Kapitel steht, das vom Gericht Jahwes über die Natio­nen redet und den Ort, wo dieses stattfindet, als Tal des Gerichtes bezeichnet (oder vielmehr: das Festbeschlossene, vgl. Jes. 10, 42 22. 23). Somit hat dieses Wort eine symbolische Bedeutung. Andererseits bezweifeln wir nicht, dass es auf die Geschichte des Königs Josaphat in 2. Chronika 20 anspielt; denn man darf nicht vergessen, dass es sich in unserem Kapitel um das Gericht der Nationen handelt, das die Segnung des bußfertigen Überrestes herbeiführen wird. In der Geschichte Josaphats aber haben wir gerade die Geschichte der Befreiung des Überrestes, her­vorgerufen durch das Gericht Gottes über dessen Feinde. Der Sieg Josaphats über die große Menge der Nationen, die gegen Jerusalem heraufgezogen war, wurde am Ende der Anhöhe Ziz und des Tales (eingeschlossenes Tal, hebräisch Nachal), das sich gegen die Wüste von Jeruel und von Thekoa öffnet, erfochten (Vers 12. 15. 16).

Josaphat war seinem Gott untreu geworden, indem er sich mit dem gottlosen Ahab, dem damaligen König von Israel, ver­bündet hatte (2. Chronika 18). In der Bedrängnis durch den Feind schrie er zu Gott, und Er kam ihm zu Hilfe (Kap. 18, 31). Zum zweiten Mal untreu, hatte er sich mit Joram, Ahabs Sohn und dem König von Edom gegen Moab verbündet; eine Schande für sein Zeugnis als Diener Gottes (2. Könige 3). Die Niederlage Moabs erregte bei diesem stolzen Volk einen heftigen Hass gegen Juda. In Gemeinschaft mit den Kindern Ammon und den Maonitern von Seir (Edom) überfiel Moab das Gebiet Judas, indem er das Tote Meer umging und bei Engedi lagerte. Dies alles — die Folge der Untreue des Königs — zeichnet im kleinen die Geschichte Judas und Jerusalems. Josaphat erkennt und bekennt seine Un­treue. Bevor er den Feind angreift, ruft er ein Fasten aus und versammelt das Volk, "und ganz Juda stand vor Jahwe, samt ihren Kindlein, ihren Frauen und ihren Söhnen" (2. Chronika 20, 2. 13). Dieses Fasten erinnert unwillkürlich an dasjenige von Joel 2, 15. Dann ruft Josaphat in tiefem Bewusstsein seiner Schwach­heit Gott an, dass Er ihn errette: "Unser Gott, willst Du sie nicht richten? Denn in uns ist keine Kraft vor dieser großen Menge . . . auf Dich sind unsere Augen gerichtet" (2. Chronika 20, 9. 12). Man hört dieselbe Bitte aus dem Schoß der Demütigung in Joel 2, 17. Darauf erklärt Jahwe, dass dieser Krieg nicht der ihrige, sondern Gottes Streit sei (2. Chronika 20, 15). "Der Geist Jahwes kam mitten in der Versammlung" (2. Chronika 20, 14), wie dies in Joel das gesegnete Teil des Überrestes sein wird (Joel 2, 28). Die Männer Josaphats steigen vor dieser Menge ge­rüstet hinunter in die Wüste Thekoas, aber nicht um zu kämpfen, sondern um die Befreiung Jahwes, der mit ihnen ist, zu schauen (2. Chronika 20, 17. 21). Sie begegnen dem Feind im Tal (hebräisch Emeq, gleich wie in Joel 3, 2. 12. 14). Dieses Tal des Gerichts wird für Josaphat und sein Volk das Tal Beraka, d. h. Tal der Seg­nung. Nach dem Sieg stimmen sie den berühmten Lobgesang des Tausendjährigen Reiches an: "Preiset Jahwe, denn Seine Güte währt ewiglich!" (2. Chronika 20, 20. 21).

Wir wiederholen: alles dieses erinnert auffällig an den Vorgang in Joel 3. Infolge der Untreue Israels und angesichts der daraus hervorgehenden Gerichte wird das gesamte Volk versammelt und Fasten und Buße ausgerufen; Juda und Jerusalem merken auf, und der Heilige Geist wird ausgegossen. Die Nationen ziehen in großer Menge gegen Jerusalem hinauf und kommen in das Tal, das zum Gerichtsschauplatz bestimmt ist, wo sie vernichtet wer­den. Das Gericht wird durch den Herrn selbst ausgeübt und nicht durch diejenigen, die Ihn begleiten. Ganz genauso wird es sein, wenn der König der Könige mit Seinen Heerscharen aus dem Himmel hervortreten und die Nationen mit dem zweischnei­digen Schwert schlagen wird, das aus Seinem Mund hervorgeht (Offb. 19). An diesem Tage wird als Folge dieses Vorgangs, der in Joel vom jüdischen Standpunkt aus gesehen wird, das Tal Josaphat zum Tal Beraka, d. h. zum Tal der tausendjährigen Seg­nung unter der Regierung des Christus (Joel 3, 18—21).

Wenn auch die Anspielung auf den Sieg Josaphats klar er­scheint, so bleibt es trotzdem durchaus unnötig, diesen Vorgang örtlich festzulegen. Der Sinn vom "Tal Josaphat" ist wie schon gesagt der, dass "Jahwe richten wird", wie Er es in 2. Chronika 20 tat. Ob nun der Ort in Joel und in der Chronika derselbe ist, ist ohne Belang, selbst dann, wenn diese Möglichkeit besteht. Jedoch kann es gefährlich werden, prophetische Ereignisse an einen Ort zu binden, wenn der symbolische Sinn der maßgebenden Ausdrücke augenscheinlich ist.

Das Tal Josaphat versinnbildlicht einen Abschnitt aus einer Ge­samtheit von Ereignissen, die alle zum "großen und furchtbaren Tag Jahwes" gehören und sich an eine Haupttatsache anschließen: Die Erscheinung des Herrn. Diese Erscheinung wird erfolgen, wenn die Himmel sich öffnen werden und der Herr, wie wir es betrachtet haben, mit Seinen himmlischen Heerscharen her­vortreten wird. An diese Erscheinung schließen sich die verschie­denen Akte Seines Kommens zum Gericht an, um Sein Königreich in Zion aufzurichten. Diese Ereignisse gehen, wie wir im Pro­pheten Sacharja sehen, nicht gleichzeitig vor sich, d. h. nicht im gleichen Augenblick, sondern sie bilden eine ununterbrochene Kette von Geschehnissen, die begleitet sind von Seinen verschie­denen Offenbarungen. Sie gehören alle zu Seiner "Erscheinung", als Teile des Tages Jahwes.

Die Erscheinung des Herrn oder die "Erscheinung Seiner An­kunft" ist der zweite Akt Seines Kommens. Bei dem ersten, für die Welt unsichtbaren Kommen, wird Er die Seinigen zu sich nehmen, um sie in die ewige Herrlichkeit einzuführen. Beim zweiten Kommen wird Er von den Seinen begleitet sein und mit ihnen das Gericht über die Nationen ausüben. Dieses wird allen sichtbar sein: "Siehe, Er kommt mit den Wolken, und jedes Auge wird Ihn sehen, auch die Ihn durchstochen haben" (Offb. 1,7). Nur von diesem zweiten Kommen, niemals aber vom ersten, redet die Prophezeiung des Alten Testaments; denn Sein Kommen für die Heiligen ist ein Geheimnis, das erst im Neuen Testament offenbart wird. Aber dieser zweite Akt — die Erscheinung des Herrn zum Gericht — hat wiederum zwei Seiten, nämlich eine himmlische und eine irdische. Die himmlische Seite gehört dem Neuen, die irdische dem Alten Testament an. Indem wir dies bemerken, können wir den Unterschied zwischen den Gesichts­punkten des Alten und denen des Neuen Testaments nicht genug betonen. Wenn sich diese ganz verschiedenen, ja entgegenge­setzten Offenbarungen auch niemals widersprechen, so dürfen wir sie doch nicht miteinander vermengen. Diese Bemerkung ist gerade für unseren Gegenstand sehr wichtig. Im Neuen Testament zeigen uns die prophetischen Stellen in 2. Thessalonicher 1 und Offenbarung 19 betr. der Erscheinung des Herrn Sein Offenbar­werden vom Himmel her mit den Engeln Seiner Macht und allen Heiligen, um die Rache an den namenchristlichen Nationen auszuüben, die den westlichen Teil des Reiches des Tieres, d. h. dem am Ende der Zeiten wiedererstandenen Römischen Reich angehören. Dabei wird das Gericht am Assyrer gar nicht erwähnt. Das Tier und der falsche Prophet werden gerichtet und in den Feuersee geworfen. Die Prophezeiung des Alten Testaments da­gegen zeigt uns die Dinge nicht von diesem Gesichtspunkt aus; dort wird der Herr auf der Erde offenbart. Ohne Zweifel kommt Er aus dem Himmel; aber so, wie Ihn die Jünger einst zum Himmel auffahren sahen (Apostg. 1, 11), wird Er wiederkommen und Seine Füße werden auf dem Ölberg stehen. Er kommt hier nicht wie in der Offenbarung, um Seine Anrechte auf Sein allgemeines Königreich geltend zu machen und die Erde in Besitz zu nehmen, indem Er alle Seine Feinde vernichtet, sondern hier kommt Er, um Sein Königreich über Israel aufzurichten, um in Zion, dem heiligen Berg Gottes, zum König gesalbt zu werden (Psalm 2,6). Aber um dies zu ermöglichen, muss das Gericht über alle Natio­nen, die Israel geknechtet und misshandelt haben, stattfinden. Dazu wird der Herr sie sammeln und ins Tal Josaphat bringen. Er wird sie richten wegen Seinem Volk, Seinem Erbteil, das sie unter die Nationen zerstreut haben. Der Anklagegegenstand wird einzig und allein aus den Untaten, die sie an dem Volk Gottes vollbracht haben, bestehen. "Sie haben Mein Land ge­teilt, und über Mein Volk das Los geworfen; und den Knaben haben sie um eine Hure gegeben und das Mädchen um Wein verkauft, den sie getrunken haben" (Vers 2—3). Tyrus, Sidon und Philistäa (später auch Ägypten und Edom, Vers 19) werden im Gericht unterschieden, denn wir haben hier das allgemeine Ge­richt aller Nationen, die das Land unter sich verteilt und "Jerusalem zertreten" haben (Lukas 21, 24). "Und auch ihr, Tyrus und Sidon und alle ihr Bezirke Philistäas? Wollt ihr Mir eine Tat vergelten, oder wollt ihr Mir etwas antun? Schnell, eilends werde Ich euer Tun auf euren Kopf zurückbringen, dass ihr Mein Silber und Mein Gold weggenommen und Meine besten Kleinode in eure Tempel gebracht, und die Kinder Judas und die Kinder Jeru­salems den Kindern der Griechen verkauft habt, um sie weit von ihren Grenzen zu entfernen" (Vers 4—6).

Die oben genannten Völker hatten geraubt und das Erbteil Gottes bestohlen und die Kinder Judas nach Griechenland verkauft [11] , um sich ihres Landes zu bemächtigen, des Landes, das Jahwe gehört. Sie werden ein von den übrigen verschiedenes Schicksal erleiden: die Kinder Judas werden sie den Sabäern verkaufen.

Es ist von Interesse, diese Stelle mit der eines Buches zu vergleichen, das nichts mit einer inspirierten Schrift gemein hat, aber den Wert eines historischen Dokuments besitzt. Man liest im 1. Buch der Makkabäer (3, 38—41): "Lysias erwählte Ptolemäus, Dorimenes Sohn, Nikanor und Gorgias, tüchtige Haupt­leute und Freunde des Königs, und er sandte mit ihnen 40000 Männer zu Fuß und 7000 Reiter, um das Land Juda einzunehmen und es zu zerstören nach den Geboten des Königs. Sie machten sich auf den Weg mit allen ihren Truppen, und als sie ins Land Juda kamen, lagerten sie sich bei Emmaus in der Ebene. Als die Kaufleute des Landes von ihrer Ankunft hörten, nahmen sie mit sich viel Silber und Gold, und Fesseln, und sie kamen in das Lager der Syrer, um die Kinder Israel als Sklaven zu kaufen. Zu diesem Heer kamen die Truppen von Syrien und Philistäas hinzu."

Dieses Gericht ist ein kriegerisches Gericht von besonderem Charakter und erinnert, wie schon oben gesagt, an den Sieg Josaphats. Wie Jahwe Seine Stimme vor Seinem Heere, dem Assyrer her, erschallen ließ, als es sich um die Züchtigung Seines Volkes (Kap. 2, 11) handelte, so lässt Er jetzt Seine Stimme in den Ohren der Nationen hören, um ihre ganze Macht zu ver­nichten. Die Weltmächte glauben, ihre Pläne und politischen Ziele zu verfolgen und ahnen nicht, dass sie ihrer endgültigen Vernich­tung entgegeneilen. Alle Arbeiten des Friedens werden liegen gelassen und die landwirtschaftlichen Geräte werden in Kriegs­waffen umgeschmiedet: "Ruft dieses aus unter den Nationen, heiligt einen Krieg, erweckt die Helden, es sollen herankommen und heraufziehen alle Kriegsmänner! Schmiedet eure Pflugmesser zu Schwertern und eure Winzermesser zu Speeren; der Schwache sage: Ich bin ein Held! Eilt und kommt her alle ihr Nationen ringsum, und versammelt euch" (Vers 9—11). Sie kommen zum Kampf herauf, um sich mit dem schwachen Überrest Judas auseinander zu setzen, in Wirklichkeit aber, um gegen seinen König, der Seine Herrlichkeit Seinen Heiligen auf dem Ölberg gezeigt hat, zu kämpfen. Dies ist in der Tat die Schlussszene. Welches auch die politischen Ziele der Völker sein mögen, sie versammeln sich alle, die Heere des Römischen Reiches im Westen, dann die Reiche des Nordens und des Ostens, um Jerusalem in Besitz zu nehmen. Dies ist der große Streit, der durch die "Orientfrage" hervorgerufen wird. Was wird das Ergebnis davon sein? "Dahin, Jahwe, sende Deine Helden hinab!" (Vers 11). Man hat in diesen Helden die himmlischen Heerscharen sehen wollen. Dies heißt wiederum, die Vorgänge in der Offenbarung (Kap. 19) mit der Prophezeiung des Alten Testaments verknüpfen, während es sich hier, wie wir nicht zweifeln, um den schwachen Überrest Judas handelt, der seinen König umgibt, wie einst die Helden Davids, oder wie die Handvoll Helden des Königs Josaphat am Tag der Schlacht. Jesaja 13, 3 enthüllt uns, wer sie sind, und gibt uns Aufschluss über ihren Charakter: "Ich habe Meine Geheiligten ent­boten, auch Meine Helden gerufen zu Meinem Zorn, Meine stolz Frohlockenden." Aber sie sind ebenso wenig zum Kampf aufge­rufen, wie seinerzeit Josaphat mit seinem Gefolge. Sie werden einfach dem Gericht beiwohnen, das Jahwe ausführen wird. Es verhält sich ganz gleich mit den himmlischen Heerscharen in Offenbarung 19, nur werden die Helden des Sohnes Davids die Nationen plündern und ihnen ihre Beute rauben (2. Chronika 20, 25), oder nach Jesaja 11, 14: "Sie werden den Philistern auf die Schultern fliegen gegen Westen, werden miteinander plündern die Söhne des Ostens; an Edom und Moab werden sie ihre Hand legen, und die Kinder Ammon werden ihnen gehorsam sein." Diese Nationen sind in Daniel 11, 41 dem Assyrer entgangen. Dasselbe wird in Hesekiel 25, 14 von Edom gesagt: "Ich werde Meine Rache über Edom bringen durch die Hand Meines Volkes Israel", ebenso in Obadja 15; "denn der Tag Jahwes ist nahe über alle Nationen; wie du (Edom) getan hast, wird dir getan werden; dein Tun wird auf dein Haupt zurückkehren".

Wenn nun auch das Gericht über die Nationen kriegerischen Charakter hat, so wird es doch nicht ein eigentlicher Kampf sein: "Die Nationen sollen sich aufmachen und hinabziehen in das Tal Josaphat; denn dort werde Ich sitzen, um alle Nationen ringsum zu richten" (Vers 12). Diese Szene ist ganz verschieden im Aussehen vom Auszug des Herrn auf dem weißen Pferd in Begleitung der Heerscharen im Himmel, um in Gerechtigkeit zu richten und zu kämpfen (Offb. 19, 11—14).

Der Sitz dieses Gerichts, der Ort, wo Jahwe richten wird, ist Jerusalem und Zion: "Jahwe brüllt aus Zion und lässt aus Jeru­salem Seine Stimme erschallen und Himmel und Erde erbeben" (Vers 16). Trotz gewissen Analogien (Übereinstimmungen) hat das hier entwickelte Bild nichts gemein mit dem Gericht in Mat­thäus 25, 31—46, das später erfolgt. Dort wird "der Sohn des Menschen kommen in Seiner Herrlichkeit, und alle Engel mit Ihm, dann wird Er auf Seinem Thron der Herrlichkeit sitzen; und vor Ihm werden versammelt werden alle Nationen". Er wird auch dort alle Nationen versammeln, und wenn es auch ein nationales Gericht sein wird, so wird doch auch jeder einzelne sich zu ver­antworten haben. Er wird die Guten und die Bösen voneinander scheiden. Sie werden als gut oder böse unterschieden, je nach­dem sie einzeln oder als Volk die Brüder des Sohnes des Men­schen aufgenommen und behandelt haben. Unter den Brüdern haben wir hier die jüdischen Boten zu verstehen, die Gott gesandt hat, um ihnen das Evangelium des Königreiches zu ver­kündigen und die Nationen einzuladen, sich dem Zepter des wahren David, Jesus Christus, zu unterwerfen. Als Folge des Ur­teilsspruches werden die einen in die ewige Pein, die andern ins ewige Leben eingehen.

Ganz anders aber verhält es sich in Joel. Dieses Buch endet mit der Ernte und Weinlese: "Legt die Sichel an, denn die Ernte ist reif; kommt, stampft, denn die Kelter ist voll, die Kufen fließen über! Denn groß ist ihre Bosheit" (Vers 13). Diese Bilder werden auch in manchen anderen Stellen der Schrift ange­wandt. Offenbarung 14, 14—20 hat viel Gemeinsames mit dem hier gesagten, ist aber von merklich größerer Tragweite. Dort sehen wir einen gleich dem Sohn des Menschen sitzen, aber auf der Wolke, der im gottgewollten Augenblick die Ernte einsammelt, die dort die Bevölkerung der ganzen Erde umfasst. Hier aber sehen wir Ihn in Jerusalem sitzen und zwar auf Seinem Thron, wohin Er die Volksmengen strömen lässt, in das Tal des Gerichtes (hebräisch Charuts), dessen Urteilsspruch zum voraus bestimmt ist. Die Nationen rücken zum Kampf heran und legen dadurch die Einstellung ihrer Herzen gegen Christus und Sein Volk an den Tag; denn was Sein Volk berührt, berührt Ihn selbst. Damit die Na­tionen auf frischer Tat ergriffen werden können, müssen sie vor dem unausweichlichen Gericht unter Waffen gefunden werden, sie, die alle Werkzeuge des Friedens und Gedeihens zur Vorbe­reitung des Krieges verwendet haben. Haben wir nicht schon selber erlebt, wie man in ungezügeltem Missbrauch alles der Kriegsaufrüstung opfert?

In Offenbarung 14 werden die Ernte und die Weinlese deut­lich von einander unterschieden; die erstere hat die Nationen, die zweite das abtrünnige Israel zum Gegenstand. Hier in Joel finden wir nichts dergleichen, obwohl wir glauben, dass die abtrünnigen Juden, das Volk des Antichristen, das sich mit den Nationen eins machen wird, in deren Gericht mit inbegriffen sein werden. Ernte und Weinlese sind in unserer Stelle vereinigt (die Ernte ist reif, die Kufen fließen über), weil sich diese Stelle nicht mit der Be­ziehung der Völker zu den ungläubigen Juden, sondern zu dem Überrest Judas und Jerusalems beschäftigt, wann deren Gefan­gene befreit sein werden. Die Ernte ist hier das Gericht über die Feinde Israels, wobei die Spreu vom Weizen getrennt wird, die Weinlese dagegen bedeutet deren erbarmungslose Vernichtung.

Es mögen noch ein paar Stellen folgen, die denselben Vorgang behandeln. Psalm 18, 30—45 feiert das dem Sohn des Menschen übergebene Gericht der Nationen. Es endet mit einer anscheinenden Unterwerfung unter Sein eisernes Zepter. Psalm 78, 65—66 beschreibt ebenfalls diese Szene: Derjenige, der den Stamm Juda und den Berg Zion zum Sitz Seiner Macht erwählt hat, "schlägt Seine Feinde von hinten, gibt ihnen ewige Schmach". Sacharja 14, 3 scheint außer dem Gericht über den Assyrer auch das über die Nationen mit einzuschließen, die übereingekom­men waren, Israel zu unterdrücken; denn der Kampf wird dort vom "Tag der Schlacht" unterschieden. Man könnte diese An­führungen vervielfältigen, wir beschränken uns aber auf diese wenigen hier.

Wenn wir alle die berührten Stellen zusammenfassen, können wir vier Ereignisse als Teilabschnitte des großen Ganzen, d. h. des Tages Jahwes, der Erscheinung des Herrn, oder der "Erscheinung Seiner Ankunft" feststellen. Diese sind folgende:

1. Die Vernichtung der Heerscharen des Tieres (des Römischen Weltreiches) und des falschen Propheten (des Antichristen) durch die Erscheinung des Sohnes des Menschen, der mit Seinem Heer aus dem Himmel kommt (Offb. 19).

2. Die Folge davon ist die Erscheinung des Messias Jesus Chri­stus auf dem Ölberg, um den Überrest zu befreien und den Assyrer zu vernichten (Jesaja 31, 4—9; Sacharja 14, 3—4).

3. Das kriegerische Gesamtgericht der Völker, die das Land Israel umgeben und die Unterdrücker des Volkes Gottes sind. An diesem kriegerischen Gericht nimmt auch der Überrest Judas teil. (Da es ein allgemeines Gericht ist, umfasst es auch alle oben aufgeführten Nationen, jedoch alles vom jüdischen Standpunkt aus gesehen; Joel 3; Obadja usw.)

4. Das Gericht über die Nationen, zur Scheidung von Schafen und Böcken, wenn der Sohn des Menschen, von Seinen Engeln umgeben, sich auf Seinen Thron der Herrlichkeit setzen wird. Die­ses Gericht wird diejenigen von den Nationen erfassen, die die Boten des Herrn verworfen haben, die ihnen das Evangelium des Königreiches verkündigten (Matthäus 25, 31—46).

Ebenso wie dem Tag des Herrn schreckliche Zeichen voran­gehen werden, werden ähnliche dieses Gericht im Tal Josaphat begleiten. "Die Sonne und der Mond verfinstern sich, und die Sterne verhalten ihren Glanz" (Vers 15).

Nach dem Gericht wird Jahwe "eine Zuflucht für Sein Volk und eine Feste für die Kinder Israel sein". Dann werden sie Ihn erkennen an den Segnungen des Neuen Bundes: "Ihr werdet wis­sen, dass Ich, Jahwe, euer Gott bin". Er wird von da an in ihrer Mitte wohnen: "Ich wohne auf Zion, Meinem heiligen Berg". "Jerusalem wird heilig sein", für immer von aller Befleckung ge­reinigt und Jahwe geweiht, und die Fremden, die bis dahin Gottes Gerichtsruten gegen Sein untreues Volk waren, werden die geliebte Stadt hinfort nicht mehr zertreten (Verse 16—17).

"Und es wird geschehen an jenem Tag, da werden die Berge von Most triefen, und die Hügel von Milch fließen, und alle Bäche Judas werden von Wasser fließen" (Vers 18). Jetzt kann der Segnung freien Lauf gelassen werden. Das Tal Josaphat ist zum Tal Beraka (Preis- und Segenstal) geworden (2. Chronika 20, 26). Überall im Land Israel werden Freude, Erquickung und geistliche Segnung ausgeschüttet werden. Das Volk Jahwes wird keinerlei Mangel mehr haben. Das Land wird dann wieder zu dem geworden sein, was es nach den Gedanken Gottes sein sollte, als Seine Gnade den zwölf Stämmen dessen Grenzen öff­nete (5. Mose 8, 7—10).

"Eine Quelle wird aus dem Haus Jahwes hervorbrechen und das Tal Sittim bewässern (Vers 18). Dies ist ein Naturvorgang, ebenso gleichzeitig ein Symbol. (Vgl. Hesekiel 47, 1—12; Sacharja 14, 8; Offb. 22, 1—2.) Die göttliche Segnung wird überall, wo sie hinkommt, Leben verbreiten. Sittim ist nahe beim Jordan von Jericho, in den Ebenen Moabs (4. Mose 26, 3; 31, 12; 33, 48—49). Dort hatte Israel gelagert, als es die Sünde mit den Töchtern Moabs beging (4. Mose 25, 1). Von dort aus hatte Josua die Kundschafter gesandt, um Jericho zu erforschen (Josua 2, 1), von dort aus auch brach Israel auf, um den Jordan zu überschrei­ten. Die Wasser werden von Jerusalem nach der Arabah oder das Tal Sittim hinabfließen, wo auch der Jordan dahinzieht, und wer­den das Tote Meer erreichen. In Sacharja geht die Quelle von Jerusalem aus, um einerseits ins Mittelmeer, andererseits ins Tote Meer zu fließen. Hier geht sie vom Tempel auf dem Berg Zion aus und bewässert Sittim, das unfruchtbare Jordantal oberhalb des Toten Meeres. In Hesekiel fließen die Wasser in die Ebene (Sittim) hinab nach Osten und gelangen zum Toten Meer, das sie gesund machen. Der Berg Seir im Gebiet Edoms, der dieses ehemals wüste Gelände beherrscht, wird Zeuge dieser Fülle von Segnungen sein, die über dieses Volk ausgegossen werden, dessen Blut Edom in Seinem heftigen Hass und Seiner Zerstörungswut vergossen hat. Alle Propheten bezeugen, dass Edom keine Wiederherstellung erlangen wird am Tage der Rache. (Vgl. Obadja.)

Von da an wird der Zustand der Segnung für immer bestehen, umfasst aber in unserem Propheten, wie schon oft gesagt, nur Juda und Jerusalem. "Juda (im Gegensatz zu Edom, das eine "Öde Wüste" sein wird) soll ewiglich bewohnt werden und Jerusalem von Geschlecht zu Geschlecht." Und Gott fügt bei: "Und Ich werde sie von ihrem Blut reinigen, von dem Ich sie nicht gereinigt hatte. Und Jahwe wird in Zion wohnen" (Vers 21).

Diese "Reinigung vom Blut" ist ohne Zweifel deshalb erwähnt, weil sich hier der Vorgang auf Juda und Jerusalem be­schränkt, denn man muss annehmen, dass es sich hier um das Blut des Christus handelt, dessen Juda und Jerusalem schuldig ist, wie das unschuldige Blut des Volkes auf Edom gefallen ist, das es vergossen hat (Vers 19). Nun aber ist das Volk Gottes von seiner Blutschuld gereinigt, und Jahwe kann jetzt in Frieden in seiner Mitte wohnen auf dem Berg der königlichen Gnade. Das Blut, dessen Jerusalem sich schuldig gemacht hatte, indem es den Hei­ligen und Gerechten tötete, ist zum Sühnungsblut geworden, durch das ihr Vergehen für immer ausgelöscht ist und das sie mit Gott versöhnt hat. Auf Grund dieser vollbrachten Süh­nung lagern sie nun von Geschlecht zu Geschlecht um ihren herr­lichen König, der Zion erwählt und als Seine Wohnung begehrt hat. "Dies ist Meine Ruhe immerdar; hier will Ich wohnen, denn Ich habe es begehrt" (Psalm 132, 13—14).

Ist es nun nicht bemerkenswert, dass mit dem letzten Wort dieses Buches der Beweggrund aller Wege Gottes mit Seinem Volk enthüllt wird? Die Schmach Seines eingeborenen Sohnes, der herabgekommen war, um die Sünde der Welt hinwegzunehmen, die Kreuzigung ihres Königs, ist die Ursache der schrecklichen Gerichte, die Gott über sie verhängt hat — aber gerade ihre Schuld, das Verbrechen des Vergießens des Blutes des Lammes ist das Mittel geworden, das Gott angewandt hat, um Sein Volk zu reinigen und sich zu erkaufen, um alle Dinge mit Gott zu versöhnen und auf Erden ein Königreich der Gerechtigkeit und des Friedens aufzurichten. Welch wunderbare Gnade! Gott bedient sich des Hasses Satans und des Verbrechens des Menschen, um die Herrschaft des Christus und unsere ewige Segnung einzuführen! Ihm sei die Herrlichkeit von Ewigkeit zu Ewigkeit!


[11] Siehe auch Amos l, 6—9, wo die Kinder Israel durch die Tyrer und die Philister an Edom verkauft werden.