Das Reich Gottes
(von Rudolf Brockhaus)
(zuerst erschienen:
Elberfeld 1925)
sprachlich
modernisierte und überarbeitete Fassung
von Martin Arhelger
Das Reich Gottes
Es gibt in den Ratschlüssen Gottes
bezüglich der Erde zwei große Systeme oder göttliche
Verwaltungen (Haushalte):
1) der Haushalt des Gesetzes und
2) der Haushalt des Reiches.
Der Haushalt des Gesetzes gründet sich auf
die Verantwortlichkeit des Menschen bzw. die Treue, mit der er dieser
Verantwortlichkeit entsprochen hat. Der Haushalt des Reiches
gründet sich auf den Ratschluss und die wirksame Kraft Gottes. Die
Haushaltung des Gesetzes begann mit dem Gesetz auf dem Berg Sinai,
unter das der Mensch sich freiwillig stellte (vergleiche 2. Mose 19,
8), und es währte bis auf Johannes den Täufer. Die
Haushaltung des Reiches trat mit dem Zeugnis dieses Vorläufers des
Herrn Jesus in Erscheinung und wurde von ihm von vornherein als nahe
herbeigekommen angekündigt. Diese Predigt wurde dann von dem Herrn
Jesus und Seinen Jüngern aufgenommen und fortgesetzt.
Das Volk Israel stand auf dem Boden des Gesetzes
und wenn es das Gesetz gehalten und die Botschaft des Reiches
angenommen hätte, so wäre dieses Reich in Macht aufgerichtet
worden, und Friede und Ordnung hätten unter dem Zepter des
Friedensfürsten auf dieser Erde herrschen können. Aber wir
wissen, dass der Mensch nicht imstande ist, das Gesetz zu halten, und
als das wahrhaftige Licht zu leuchten begann, da zeigten sich die
tiefen Schatten der Finsternis erst recht. Der wahre Zustand des
Menschen, sein natürliche Verderben und seine Feindschaft gegen
Gott, wurden offenbar. Das Zeugnis des Johannes und des Herrn Jesus
selbst wurde verworfen, Johannes wurde enthauptet und Christus ans
Kreuz geschlagen.
Damit war die Aufrichtung des Reiches in Macht und
Herrlichkeit selbstverständlich unmöglich geworden.
Die Prophezeiung Daniels war erfüllt: "Der
Messias (wird) weggetan werden und nichts haben" (Daniel 9, 26), und
statt einer Zeit äußerer Machtentfaltung kamen für
Israel Jahrhunderte der Schmach und Verwerfung. Diese Zeiten werden so
lang währen, bis der Messias Israels als "Sohn des Menschen"
wiederkehren wird, um Seine Herrschaft über alles, was im Himmel
und auf Erden ist, anzutreten. In Übereinstimmung damit sagte der
Herr in der letzten Nacht zu den Leitern des jüdischen Volkes:
"Von jetzt an werdet ihr den Sohn des Menschen zur Rechten der Macht
sitzen und auf den Wolken des Himmels kommen sehen". (Matthäus 26,
64).
Ist denn das Reich damals überhaupt nicht
aufgerichtet worden? Ja, es ist aufgerichtet worden, aber es hat eine
ganz neue, geheimnisvolle Form angenommen. Über diese neue Form
belehrt der Herr Seine Jünger in den bekannten Gleichnissen von
Matthäus 13. Ihnen, und damit uns, war es gegeben, in die
"Geheimnisse des Reiches der Himmel" eingeführt zu werden. Dem in
dieser Beziehung bereits offenbarten "Alten" sollte jetzt "Neues",
bisher nicht Offenbartes, hinzugefügt werden. Darum sagt der Herr
von dem im Reich der Himmel unterwiesenen Schriftgelehrten, dass er
"Neues und Altes" aus seinem Schatz hervorbringt {Matthäus 13,
52.}.
Doch beschäftigen wir uns zunächst einen
Augenblick mit der Bedeutung des Ausdrucks "Reich Gottes".
Der Ausdruck "Reich
Gottes"
Das Wort Reich (eigentlich Königreich) Gottes
erweckt schon an sich den Gedanken an einen Bereich oder einen Zustand,
in dem die regierende Macht Gottes unter den jeweils nach Seiner
Weisheit gegebenen Umständen zum Ausdruck oder zur Ausübung
kommt. Es ist die weiteste, umfassendste Bezeichnung unter den
verschiedenen ähnlichen Ausdrücken, denen wir im Worte Gottes
begegnen. Wir hören da von
dem Reich,
dem Reich der Himmel,
dem Reich meines (oder ihres) Vaters,
dem Reich des Sohnes des Menschen,
dem Reich der Welt unseres Herrn und Seines
Christus.
"Reich Gottes" ist sozusagen ein Sammel- oder
Gattungsname, unter den die anderen Namen sich gruppieren, oder dem sie
sich angliedern. Das Wort hat eine innere, geistliche oder sittliche,
und eine äußere, mehr in den Bereich der Sinne fallende
Bedeutung. Selten erscheint es ausschließlich in der ersten, mehr
in der zweiten Bedeutung, oft aber auch in beiden zugleich. In seinem
geistlichen Charakter tritt es unverkennbar vor unsere Blicke, wenn wir
lesen: "Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern
Gerechtigkeit und Friede und Freude im Heiligen Geist" (Römer 14,
17); oder: "Das Reich Gottes besteht nicht im Worte, sondern in Kraft".
(1. Korinther 4, 20.) An den gleichen Sinn dürfen wir auch
zunächst wohl denken in Stellen wie Apostelgeschichte 1, 3; 8, 12;
20, 25; 28, 31; doch darf der andere hier keineswegs ausgeschlossen
werden. (Vergl. auch Matthäus 6, 33; Johannes 3, 3;
Apostelgeschichte 8, 12 und viele andere Stellen.)
In dem inneren oder geistlichen Sinn kann
begreiflicherweise nur der Glaube das Reich Gottes sehen. Darum sagt
der Herr zu Nikodemus: "Wenn jemand nicht von neuem (oder von oben her)
geboren wird, so kann er das Reich Gottes nicht sehen". {Johannes 3, 3.}
Als Gott in der Person Seines Sohnes auf dieser
Erde erschien, war das Reich Gottes da, weil Er, der König des
Reiches, da war und sich in Seiner ganzen göttlichen Macht und
Weisheit offenbarte. Darum sagt der Herr auch zu den Pharisäern,
die in der Feindschaft und Verblendung ihrer Herzen behaupteten, Er
treibe die Dämonen aus durch Beelzebub, den Obersten der
Dämonen: "Wenn ich durch den Geist Gottes die Dämonen
austreibe, so ist also das Reich Gottes zu euch gekommen"
(Matthäus 12, 28; Lukas 11, 20), und in Lukas 17, 20. 21 lesen
wir: "Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man es beobachten
könnte; noch wird man sagen: Siehe hier!, oder: Dort! Denn siehe,
das Reich Gottes ist mitten unter euch". In der zweiten, mehr
äußeren, sinnfälligen Bedeutung war das Reich Gottes
noch nicht da. Es war nahe gekommen, aber noch nicht da. Der König
Israels war erschienen, um es aufzurichten, und wir sagten uns schon:
Wenn Israel Ihn aufgenommen hätte, so würde der Aufrichtung
des Reiches nichts im Wege gestanden haben. Der nach Johannes Kommende,
aber vor ihm Seiende war da mit Seiner Worfschaufel in Seiner Hand, um
Seine Tenne (Israel) durch und durch zu reinigen und den Weizen in die
Scheune zu sammeln. (Matthäus 3, 11. 12.) Aber infolge der
Verwerfung Christi musste die Errichtung des Reiches in richterlicher
Macht und in Herrlichkeit hinausgeschoben werden. Diese Errichtung ist
heute noch zukünftig und wird sich erst erfüllen bei der
zweiten Wiederkunft Christi, d. i. bei der "Erscheinung des Sohnes des
Menschen", wenn alles Fleisch, jedes Auge Ihn sehen wird, auch die, die
Ihn durchstochen haben. Inzwischen hat Er sich gesetzt zur Rechten der
Majestät droben und wartet auf die Zeit, da Gott alle Seine Feinde
Ihm zum Schemel Seiner Füße legen und "den Stab Seiner Macht
aus Zion senden wird". Dann, "am Tage Seiner Macht", wird Sein Volk
(der gläubige Überrest aus Israel) "voller Willigkeit sein",
und Er wird als "Priester in Ewigkeit nach der Ordnung Melchisedeks"
auf Seinem Throne sitzen und "herrschen von Meer zu Meer und vom Strome
bis an die Enden der Erde". (Psalm 110; Sacharja 6, 13; Psalm 72;
Jesaja 9, 7 und viele andere Stellen.)
Der Glaube sieht Jesus jetzt schon droben
verherrlicht und mit Ehre gekrönt und weiß, dass Ihm bald
alles unterworfen sein wird. Für den Glauben ist alles gesichert
in dem Löwen aus Juda, der überwunden hat, dem geschlachteten
Lamm, das auf dem Thron des Vaters sitzt - noch nicht auf Seinem
eigenen Thron. (Offenbarung 3, 21.) Ich sagte bereits, dass das Reich
seit der Verwerfung und Auffahrt des Sohnes des Menschen dahin, "wo Er
zuvor war" (Johannes 6, 62), einen ganz neuen, eigenartigen Charakter
angenommen hat. Es ist ein Reich geworden, dessen König verworfen
ist, und in dem alle, die diesen König lieben, Schmach und
Verwerfung mit Ihm teilen müssen, ein Reich, das auf dieser Erde
aufgerichtet ist, in dem aber himmlische Grundsätze herrschen, das
mit anderen Worten vom Himmel her geleitet und regiert wird. Das ist
der Grund, weshalb es im Evangelium nach Matthäus, in dem uns die
Verwaltungswege oder wechselnden Haushalte Gottes in besonderer Weise
vorgestellt werden, fast immer, mit wenigen Ausnahmen (Kap. 6, 33; 12,
28; 19, 24; 21, 31. 43: Reich Gottes; Kap. 26, 29: Reich meines Vaters)
die Bezeichnung trägt:
Reich der Himmel
Der Ausdruck "Reich der Himmel" findet sich in
keinem anderen Evangelium. Er wird nur von Matthäus gebraucht, dem
Evangelisten also, der uns die Person unseres Herrn vornehmlich als
Messias (Christus) vor Augen stellt. Und wo er vorkommt, wird das Reich
ausnahmslos als zukünftig bezeichnet oder gedacht. Warum? Der
Grund ist einfach. Während das "Reich Gottes" notwendigerweise da
war, als der Sohn Gottes auf der Erde wandelte, oder mit anderen
Worten, als Gott auf der Erde war, konnte das "Reich der Himmel" nicht
bestehen, solang Jesus nicht verworfen und in den Himmel
zurückgekehrt war. Ich wiederhole: "konnte" nicht. Denn die
Einführung des "Reiches der Himmel" als eines Zustandes der Dinge
in diese Welt ist gerade das Ergebnis dieser Rückkehr, die
Darstellung oder Entfaltung des Reiches Gottes in seinem himmlischen
Charakter. Diese Darstellung folgte auf die Verwerfung des Königs
dieses Reiches durch Israel und die ganze Welt. Sobald man diese
Tatsache erfasst hat, schwindet manche Schwierigkeit. Man versteht dann
sofort, warum der Herr Jesus in Matthäus 12, 28 nicht sagen
konnte. "Das Reich der Himmel ist zu euch gekommen", oder in Kap. 21,
43: "Das Reich der Himmel wird von euch weggenommen werden". Das Reich
Gottes war da, konnte also weggenommen werden, aber als Reich der
Himmel bestand es noch nicht. Der hochgeborene Mann, dessen Reich
"nicht von dieser Welt" war, ist in ein fernes Land gezogen, um ein
Reich für sich zu empfangen und dann wiederzukommen. (Vergl. Lukas
19, 11. 12; 23, 42.) Während der Zeit Seiner Abwesenheit steht Er
mit Seinem Reich auf der Erde nur in geistlichem Sinne in Verbindung.
Jede äußere Beziehung ist abgebrochen und jeder Anspruch
Seinerseits auf die äußere Entfaltung und Anerkennung Seiner
königlichen Rechte aufgegeben. Zugleich vollzieht sich ein ganz
neues Werk, die Berufung der Braut des Lammes aus allen Völkern
der Erde, die Sammlung der Gemeinde des lebendigen Gottes, deren erste
Anfänge wir in dem Überrest aus Israel, den eigentlichen
Kindern des Reiches, in Apostelgeschichte 2 erblicken. "Der Herr aber
fügte täglich hinzu, die gerettet werden sollten."
(Apostelgeschichte 2, 47.) Alle Gläubige, ja, alle, die sich heute
zu Christus bekennen, ob bekehrt oder unbekehrt, befinden sich im Reich
der Himmel, gehören äußerlich zu ihm und sind darum
gehalten, dessen Grundsätze, wie sie in Matthäus 5-7
niedergelegt sind, zu beobachten.
Johannes der Täufer stand gleichsam auf der
Grenzlinie der beiden Verwaltungen oder Haushalte Gottes.
Als der Vorläufer des Königs, der im
Geist und in der Kraft des Elia Seine Ankunft ankündigte,
ähnlich wie am Ende der Tage der Prophet Elia von Gott gesandt
werden wird, um das Herz der Väter zu den Kindern und das Herz der
Kinder zu ihren Vätern zu wenden (Maleachi 3, 24), war er der
größte der Propheten, stand aber noch auf dem Boden der
alten Ordnung, die dem Verschwinden nahe war. Darum konnte der Herr in
Bezug auf ihn zu den Jüngern sagen: "Wenn ihr es annehmen wollt,
er ist Elia, der kommen soll". {Matthäus 11, 14.} Johannes war
für den Glauben damals das, was der kommende Elia einmal
tatsächlich sein wird, wenn "der Tag Jehovas kommt, der
große und furchtbare". {Maleachi 3, 23.} Johannes selbst wurde,
ehe das Reich errichtet wurde, von dem gottlosen König Herodes ins
Gefängnis geworfen und bald nachher ermordet. Seltsame Wege
Gottes. Sie waren für jeden Juden, der Johannes als den
großen Propheten Gottes betrachtete, unbegreiflich. Johannes
selbst nahm für einen Augenblick Anstoß an dem Herrn und
sandte einige seiner Jünger zu Ihm mit der Frage: "Bist du der
Kommende, oder sollen wir auf einen anderen warten?" {Matthäus 11,
3} und der Herr musste ihn daran erinnern, dass alle die Zeichen, die
nach der Aussage der Propheten mit der Gegenwart des Messias verbunden
sein würden, da seien: Blinde wurden sehend, Lahme wandelten,
Aussätzige wurden gereinigt usw. Aber nichtsdestoweniger blieb
Johannes der größte der von Frauen Geborenen, den Herrn
selbstverständlich ausgenommen; ja, er war, wie der Herr sagt,
"mehr als ein Prophet" {Matthäus 11, 9}, indem die Propheten
selbst von ihm geredet hatten.
Wie ist nun demgegenüber das Wort des Herrn
über Johannes zu verstehen, dass "der Kleinste im Reiche der
Himmel" größer ist als er? Es bedarf wohl kaum der
Erwähnung, dass in diesen Worten nicht an den persönlichen
Zustand der betreffenden Personen zu denken ist, als wäre etwa ein
schwacher Gläubiger heute größer als ein mächtiger
Zeuge Gottes wie Johannes, oder als wäre ein ängstlicher
Christ der Gegenwart in einem besseren geistlichen Zustand als ein
Glaubensmann im Alten Bund. Nein, der Herr will einfach darauf
hinweisen, dass eine ganz neue Ordnung der Dinge im Begriff war zu
kommen, eine Ordnung, in der es auf Grund der bedingungslosen Gnade
Gottes und der Wirkungen des Heiligen Geistes Segnungen und Vorrechte
für den Menschen gibt, die den Kleinsten derer, die sie besitzen
und genießen, größer erscheinen lässt, als den
Größten unter denen, die auf dem Boden des gesetzlichen
Haushalts standen. Es handelt sich hier nicht um den Zustand, sondern
ausschließlich um die Stellung der Betreffenden. Zugleich
bestätigen die Worte des Herrn das weiter oben schon Gesagte, dass
das Reich als eine für den Menschen auf dieser Erde aufgerichtete
Segensordnung damals noch nicht da war. Johannes kündigte sein
Herannahen als unmittelbar bevorstehend an, aber es konnte erst seinen
Anfang nehmen, nachdem Jesus nach vollendetem Werk zum Vater
zurückgekehrt war; und zwar zunächst in geistlichem Sinn, um
später, am Ende der Tage, in Macht und Herrlichkeit zu erstehen.
Die Schlüssel des
Reiches der Himmel
Die Schlüssel des Reiches der Himmel wurden
einst Simon Petrus übergeben. In Verbindung mit dem bekannten Wort
des Herrn: "Auf diesen Felsen werde ich meine Versammlung (Gemeinde)
bauen usw.", hören wir: "Und ich werde dir (Petrus) die
Schlüssel des Reiches der Himmel geben; und was irgend du auf der
Erde binden wirst, wird in den Himmeln gebunden sein, und was irgend du
auf der Erde lösen wirst, wird in den Himmeln gelöst sein".
(Matthäus 16, 18-19.)
Beachten wir zunächst, dass der Herr nicht
sagt: die Schlüssel "des Himmels" oder "des Hauses Gottes, der
Versammlung", auch nicht die Schlüssel "des Himmelreichs", wie
Luther übersetzt. Diese Übersetzung ist zwar zulässig,
aber nicht ganz genau und vor allem irreführend, indem sie
unwillkürlich den Gedanken erweckt, der Himmel sei der Schauplatz
dieses Reiches, und schließlich zu der ganz verkehrten Meinung
führt, Himmelreich und Himmel seien gleichbedeutende Begriffe. Der
Herr hat deutlich gesagt: "Ich werde dir die Schlüssel des Reiches
der Himmel geben", offenbar zu dem Zweck, um dieses Reich
aufzuschließen, denn das ist die Bestimmung eines
Schlüssels. Dass Petrus nicht die Macht empfangen hat, für
irgend jemand den Himmel aufzuschließen, braucht nicht gesagt zu
werden. Der ihm gewordene Auftrag bezog sich - und konnte sich nur
beziehen - auf diese Erde, und wir finden die Erfüllung dieses
Auftrags in der Apostelgeschichte. Im 2. Kapitel schließt Petrus
den Juden, die durch die Verwerfung ihres Messias alle Anrechte an das
Reich verloren hatten, die Tür ins Reich wieder auf, und im 10.
Kapitel werden in dem Hauptmann Kornelius und seinen Verwandten und
Freunden die Heiden durch ihn in das Reich eingeführt. Zwei
Schlüssel, den einen für Israel, den anderen für die
Nationen, hatte der Herr in die Hände Seines Jüngers gelegt,
und beide sind von Petrus gebraucht worden. Der zweite Teil der Worte
des Herrn hat in einem Sinn mit dem ersten gar nichts gemein; er
führt einen ganz neuen Gedanken ein. Mit Schlüsseln
öffnet und schließt man, aber binden und lösen hat
ebenso wenig mit Schlüsseln zu tun wie das vorhergenannte Bauen
der Gemeinde. Von einer "Schlüsselgewalt", von der der Mensch
redet, weiß das Wort Gottes gar nichts. Die letzte Hälfte
unserer Stelle spricht allerdings von einer Gewalt oder Autorität,
aber diese steht in Verbindung mit der Verwaltung des Reiches auf der
Erde. Ein ernstes Beispiel von dieser Gewalt und ihrer Ausübung
liefert uns die Geschichte von Ananias und Sapphira in
Apostelgeschichte 5. Kraft der ihm verliehenen Autorität band der
Apostel die Sünde der beiden unglücklichen Eheleute auf sie,
und im Himmel fand seine Handlung unmittelbare Anerkennung. Beide traf
der Tod.
Von der Übertragung dieser Gewalt auf die
Versammlung (Gemeinde) redet der Herr in Matthäus 18, 18. Sie wird
dort den Zweien oder Dreien, die in Seinem Namen versammelt sind,
verliehen. "Mit der Kraft des Herrn Jesus Christus" in ihrer Mitte
vermögen auch sie, auf der Erde zu binden oder zu lösen, und
ihre Handlungen, die selbstverständlich nur für diese Erde
Geltung haben, sollen im Himmel Anerkennung finden. Ja, sie sind
verantwortlich, den Bösen von sich selbst hinauszutun. (1.
Korinther 5, 4. 13.)
{Die Gleichnisse in
Matthäus 13}
Hier sei noch ein kurzes Wort über
Matthäus 13 eingeschaltet. Das erste Gleichnis in diesem
wunderbaren Kapitel zeigt uns, wie der Messias, der umsonst Frucht in
Seinem Weinberg gesucht hatte, sich sozusagen in den Sohn des Menschen
umwandelt (Er war das selbstverständlich immer) und nun als
Sämann in die ganze Welt ausgeht, um den guten Samen des Wortes
Gottes auszustreuen. Die natürlichen Beziehungen zu Israel, dem
"bösen Geschlecht", das immer mehr der Gewalt unreiner Geister
anheimfällt, sind abgebrochen. (Vergl. Kap. 12, 43-50.) Gott
sendet jetzt Sein Wort der ganzen Welt. Im Anschluss daran geben uns
die übrigen sechs Gleichnisse ein Gesamtbild vom Reich der Himmel,
wie es sich fortan gestalten sollte - wir könnten auch sagen: ein
Bild der Geschichte der Christenheit. Die drei ersten Gleichnisse
(Unkraut, Senfkorn und Sauerteig) beschreiben seine äußere
Entwicklung, wie sie von den Augen der Menschen beobachtet werden kann,
die drei letzten (Schatz im Acker, Perle, Netz) reden von seinem Kern
oder Inhalt, von seinem inneren Wert, wie Gottes Auge diesen sieht.
Darum spricht der Herr bei den ersten drei zu Seinen Jüngern und
der Volksmenge, bei den letzten drei nur zu Seinen Jüngern; denn
ihnen war es gegeben, "die Geheimnisse des Reiches der Himmel zu
erkennen" {Matthäus 13, 11}, die Volksmenge hatte dafür kein
Verständnis. "Reich der Himmel" und "Christenheit" sind zwei
Begriffe, die sich in mehrfacher Hinsicht decken. "Reich der Himmel"
und "Versammlung" oder "Gemeinde" sind aber niemals gleichbedeutend,
können es nicht sein, weil jenes Reich immer in Verbindung steht
mit dieser Erde, die Versammlung immer mit dem Himmel. Das Reich der
Himmel umschließt Gute und Böse, Gerechte und Ungerechte,
Weizen und Unkraut; die Braut oder Versammlung dagegen besteht
ausschließlich aus wahren Gläubigen, Gliedern des Leibes
Christi. Die Braut wird in den Himmel entrückt, ehe Christus
sichtbar erscheint. Das Reich der Himmel wartet auf die allen sichtbare
Erscheinung des Sohnes des Menschen und wandelt sich dann, nach
Vollziehung des Gerichtes über das Unkraut, um in jenes
Friedensreich, von dem die Propheten des Alten Bundes so Vieles und
Herrliches geredet haben, und das aus einem irdischen und himmlischen
Teile bestehen wird. Hören wir, was der Herr selbst hierüber
in Matthäus 13, 40-43 sagt: "In der Vollendung des Zeitalters wird
der Sohn des Menschen Seine Engel aussenden, und sie werden aus Seinem
Reich (dem Reich des Sohnes des Menschen, d. h. dem irdischen Teil des
Reiches) alle Ärgernisse zusammenlesen und die, welche die
Gesetzlosigkeit tun; und sie werden sie in den Feuerofen werfen ...
Dann werden die Gerechten (die himmlischen Heiligen) leuchten wie die
Sonne in dem Reich ihres Vaters (dem himmlischen Teil des Reiches)."
Das Reich der Himmel als solches hat dann aufgehört zu bestehen;
es ist, wie gesagt, übergegangen in das Reich des Sohnes des
Menschen und das Reich des Vaters.
Reich des Sohnes des
Menschen und das Reich des Vaters (der Gerechten).
Der Traum Jakobs (1. Mose 28, 12-14) ist dann in
Erfüllung gegangen: Himmel und Erde sind miteinander verbunden,
und die Himmelsbewohner dienen den Angehörigen des Reiches auf der
Erde als Segenskanäle.
Der Weizen (die Gerechten) ist eingesammelt in die
Scheune des Herrn, das Unkraut (die Gesetzlosen) ist in das Feuer
geworfen, das weite Feld des christlichen Bekenntnisses ist geerntet,
alle Ärgernisse sind aus dem Reich entfernt, und es kann sich in
der ganzen Macht und Herrlichkeit entfalten, wovon die Psalmen und die
Propheten so viel geredet haben. Dann wird Wahrheit "sprossen aus der
Erde, und Gerechtigkeit herniederschauen vom Himmel" {Psalm 85, 12},
und "viele werden von Osten und Westen kommen und mit Abraham und Isaak
und Jakob zu Tische liegen in dem Reich der Himmel". {Matthäus 8,
11.}
Dann ist auch das in Offenbarung 11, 15
angekündigte "Reich der Welt unseres Herrn und Seines Christus"
geworden. Es wird nicht mehr vom Himmel her regiert. Der König
selbst ist da und hat Seine Herrschaft angetreten. "Siehe, ein
König wird regieren in Gerechtigkeit; und die Fürsten, sie
werden nach Recht herrschen." (Jesaja 32, 1.) "Es werden dem Volke
Frieden tragen die Berge und die Hügel durch Gerechtigkeit."
(Psalm 72, 3.) Der Wille Gottes geschieht, wie im Himmel so auch auf
Erden.
Zum Schluss noch ein Wort über eine viel
umstrittene Stelle in 1. Korinther 15. Der Apostel Paulus sagt dort
(Vers 25 ff.): "Er (Christus) muss herrschen, bis Er alle Feinde unter
Seine Füße gelegt hat. Als letzter Feind wird der Tod
weggetan."
Unser hochgelobter Herr muss und wird herrschen in
Gerechtigkeit und Friede, wie nie ein König geherrscht hat und
herrschen konnte, zur Verherrlichung Gottes. So wie Er den Vater
verherrlicht hat in der Zeit Seiner Erniedrigung, so wird Er Ihn
vollkommen verherrlichen in der Zeit Seiner Erhöhung. Dann wird
die Herrschaft auf Seiner starken Schulter ruhen, und "die Mehrung der
Herrschaft und der Frieden werden kein Ende haben" {Jesaja 9, 6}, d. h.
solang diese Schöpfung nach Gottes Willen währt, oder wie die
Schrift es ausdrückt, solang Sonne und Mond bestehen. (Psalm 72,
7. 17; 89, 29. 36. 37; Daniel 2, 44; 7, 14; Lukas 1, 32. 33.) Tausend
Jahre wird "Sein Tag" währen; und wenn dann die Jahre Seiner
Herrschaft vorüber sind und "das Ende" kommt, mit anderen Worten,
wenn Himmel und Erde vergehen und der "ewige Zustand" anhebt, dann
"wird Er das Reich dem Gott und Vater übergeben". Der auch in
dieser Beziehung als vollkommen Erwiesene wird Seine Herrschaft
niederlegen, um dann schließlich wiederum (als Mensch) "Dem
unterworfen zu sein, der Ihm alles unterworfen hat, damit Gott alles in
allem sei": Vater, Sohn und Heiliger Geist. Alle Herrschaft, Gewalt und
Macht, soweit sie mit dieser Schöpfung in Verbindung steht, wird
weggetan sein. Aus den Händen des vollkommenen Menschen, in die
Gott sie gelegt hatte auf Grund Seines Gehorsams bis in den Tod am
Kreuz, wird sie nach tadelloser, vollkommener Verwaltung in die
Hände Gottes zurückgelegt werden.
In der gegenwärtigen Zeit ist unserem
hochgelobten Herrn wohl schon "alle Gewalt gegeben im Himmel und auf
Erden", aber Er hat Seine Herrschaft noch nicht angetreten, das Erbe
noch nicht übernommen. Der Besitz ist "erworben", aber noch nicht
"eingelöst". (Eph. 1, 14.) Ihn, den geheimnisvollen Menschen der
Ratschlüsse Gottes, den einigen Sohn, durch den und für den
alle Dinge geschaffen sind, Ihn, der als der abhängige und
gehorsame Mensch die Erlösung vollbracht und sich als Erbe aller
Dinge zur Rechten der Majestät droben gesetzt hat - Ihn hat Gott
hoch erhoben und Ihm heute schon einen Namen gegeben, der über
jeden Namen ist. "Noch über ein gar Kleines", und wir werden Ihn
kommen und alle Gewalt und Macht und Herrschaft in Seinen
mächtigen Händen glorreich vereinigt sehen, und dann "wird in
dem Namen Jesu jedes Knie sich beugen, der Himmlischen und Irdischen
und Unterirdischen, und jede Zunge wird bekennen, dass Jesus Christus
Herr ist, zur Verherrlichung Gottes, des Vaters". (Phil. 2, 9 - 11.)
Zur Vervollständigung des Bildes bleibt uns
noch übrig, einen Blick auf das "ewige Reich unseres Herrn und
Heilandes Jesus Christus" zu werfen.
Das "ewige Reich
unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus."
Es ist wieder der Apostel Petrus, dessen Person in
Verbindung mit diesem Ausdruck vor unsere Blicke tritt. Er, der die
Schlüssel des Reiches der Himmel von dem Herrn empfing, betrachtet
in seinen Briefen den Gläubigen nicht, wie Paulus es tut, als
auferstanden mit Christus oder gar als in Ihm mitversetzt in die
himmlischen Örter, sondern als einen Fremdling auf dieser Erde,
der wiedergezeugt ist zu einer lebendigen Hoffnung durch die
Auferstehung Jesu Christi aus den Toten zu einem unverweslichen und
unbefleckten Erbteil, das für ihn droben aufbewahrt wird {1.
Petrus 1, 3-4}, und der nun auf den Herrn wartet, dass Er ihn in den
Vollgenuss der verheißenen Segnungen einführe. Als solcher
wird er ermahnt, mit umgürteten Lenden seiner Gesinnung
völlig auf die Gnade zu hoffen, die ihm bei der Offenbarung Jesu
Christi gebracht werden wird (1. Petrus 1, 13), oder in seinem Glauben
alle jene kostbaren Tugenden darzureichen, die den himmlischen
Fremdling auf der Erde zieren sollen, und so seine Berufung und
Erwählung in seinem Herzen fest zu machen. Wenn er dieses tut,
wird er nicht nur vor Straucheln und Fallen bewahrt bleiben, sondern es
wird ihm auch "der Eingang in das ewige Reich unseres Herrn und
Heilandes Jesus Christus" reichlich dargereicht werden. (2. Petrus 1, 5
- 11.)
Mit anderen Worten: Das Auge eines solchen
Gläubigen, des "Christen", wie bekanntlich nur Petrus in Kap. 4,
16 seines ersten Brief ihn nennt1, ist klar, Herz und Gewissen sind
unbeschwert, und der Eingang in das ewige Reich des Herrn, dessen
"Miterbe" er geworden ist, liegt offen vor ihm. Die zukünftige
Herrlichkeit erfüllt sozusagen schon mit ihren Strahlen seine
glückliche Seele, erhebt sie über all das gegenwärtige
Leid und lässt sie zugleich den wahren Charakter alles dessen
erkennen, wodurch Satan das Auge zu blenden und das Herz abzulenken
sucht. Das Reich wird hier das "ewige" Reich unseres Herrn und
Heilandes genannt. Der Ausdruck geht also wohl über das hinaus,
was uns bisher beschäftigt hat; nicht so, dass die
vorübergehende Entfaltung der Herrlichkeit des Reiches, wie sie in
der tausendjährigen Dauer der Regierung des Sohnes des Menschen
gesehen werden wird, ausgeschlossen wäre, aber der Blick wird
über das Zeitliche hinaus in die Ewigkeit gelenkt, auf das
gerichtet, was unveränderlich und unvergänglich ist.
Ähnlich wird in Offenbarung 22, 3-5 gesagt,
dass Seine Knechte Ihm dienen. Sein Angesicht sehen und herrschen
werden von Ewigkeit zu Ewigkeit". Und in Hebr. 12, 27. 28, wo von der
"Erschütterung und Verwandlung" alles Erschaffenen geredet wird,
lesen wir: "damit die (Dinge), die nicht erschüttert werden,
bleiben", und werden ermahnt, "da wir ein unerschütterliches Reich
empfangen", Gnade zu haben, durch die wir Gott wohlgefällig dienen
mögen mit Frömmigkeit und Furcht.
Es gibt noch eine Anzahl anderer Stellen, wo von
dem Reich Christi oder Gottes, von dem "Reich des Sohnes Seiner Liebe"
usw. die Rede ist; aber sie gehören nicht in den Rahmen unserer
Betrachtung. Es wird dem Leser bei aufmerksamer Beachtung des Inhalts
und Zusammenhangs der betreffenden Stellen auch kaum schwer fallen, die
jeweilige Bedeutung des Wortes "Reich" zu verstehen.
Rudolf Brockhaus