Unser Hoherpriester und unser Sachwalter (7. Brief)

Lieber ...,

wir hatten die Betrachtung über die Fußwaschung und deren geistliche Bedeutung fast zu Ende geführt. Wir sahen darin ein Bild von der gegenwärtigen Tätig keit oder dem Dienst unseres Herrn und Heilandes als Fürsprecher oder Sachwalter für die Seinen. Der Herr thront im Himmel, wir, die Seinen, sind noch auf der Erde in einer unreinen Welt, und die alte geerbte sündige Natur ist noch in uns, wenn sie auch verurteilt und richterlich am Kreuz vor Gott völlig weggetan ist (Röm. 6,6-7). Und zwar ist nun Christus als mitleidsvoller Hoherpriester für uns vor Gott, um sich immer für uns zu verwenden (Hebr. 7,25; Röm. 8,34), damit wir in den Mühen und Gefahren der Pilgerschaft durch diese Wüste nicht ermatten und im Glauben und Hoffen bis zum Ende standhaft festhalten. Vorbildlich davon trug der Hohepriester im Alten Bund auf seiner Brust auf Edelsteinen alle Namen der Stämme des Volkes Gottes und ebenso auf seinen Schultern. In Liebe (deren Sitz die Brust ist) und in Kraft (deren Sitz oder Bild die Schultern sind) trägt uns so der Herr jetzt, bis wir alle ans Ziel gelangt und in der ewigen Sabbatruhe des Volkes Gottes sind (Hebr. 4).

Schön singt der alte {Johannes Jakob} Rambach (1693-1735) vom Herrn:

„Alle Namen deiner Frommen

trägst du jetzt auf deiner Brust,

Alle, die zu Gott gekommen,

pflegest du mit Lieb und Lust,“

Aber trotz alledem geschieht es wegen unserer Untreue, dass wir uns vielfach verunreinigen in Gedanken oder sogar in Worten und Werken. Da kommt die Fußwaschung in Anwendung. Doch in der Fußwaschung sehen wir den Herrn nicht mehr als Hohenpriester (Hebr. 4,15 und 7,25 u. öfter), sondern als Sachwalter (1. Joh. 2,1). Als Hoherpriester tritt Er für die gesegneten Beziehungen ein, in die uns Sein kostbares Blut mit Gott gebracht hat, und als solcher betet Er um unsere Bewahrung und um unseren Sieg und Frieden im Kampf. Als Hoherpriester will Er uns bewahren und vertreten vor Gott. Dies hat nichts zu tun mit unserer Wiederherstellung. Als Sachwalter oder Fürsprecher aber ist der Herr für uns tätig im Blick auf unsere Reinigung und Wiederherstellung, wenn wir uns nicht bewahren ließen, also ausgeglitten sind und gesündigt haben. Er nimmt unsere Füße (eine passende Bezeichnung für unseren Wandel in der unreinen Welt) und wäscht sie uns. Jede Verunreinigung durch Gedanken, Worte und Werke unterbricht ja die Gemeinschaft, in die jeder Gläubige mit Gott, dem Vater und dem Sohne, gebracht ist (1. Joh. 1,3), denn sie betrübt den Heiligen Geist, durch den wir versiegelt worden sind (Eph. 4,30). {1. Joh 1,3 meint wohl eigentlich die absolute "Familien"-Gemeinschaft, in die jedes wahre Kind Gottes grundsätzlich gekommen ist. Aber die "Freude" und der Genuss dieser Gemeinschaft erstirbt bei Sünden und Verunreinigungen im Leben des Gläubigen.}

Wäre der Herr nicht als Sachwalter für uns im Him mel fürbittend tätig, so würde wohl jede Sünde eines Gläu bigen, wie bei Adam und Eva im Paradies mit dauerndem Verlust unserer Stellung oder wie bei Israel im kommenden Tausendjährigen Reich sofort mit dem leiblichen Tod bestraft werden (Jes. 65,20; Psalm 101,8 und öfter. Vergleiche auch in Apostelgeschichte 5 den plötzlichen Tod von Ananias und Sapphira, die geheuchelt und gelogen hatten; das ist ein Vorbild von den Gerichten und dem Tausendjährigen Reich.)

A uch unser Gott ist der Sünde gegenüber ein verehrendes Feuer (Hebr. 12,29). ( Auch heute kann es sein, dass die Sünde oder der Zustand eines Gläubigen so schlimm ist, dass der leibliche Tod dafür eintritt: er wird vom Schauplatz des Zeugnisses weggenommen. Die Fürbitte wäre da nicht am Platz. Vergl, 1. Joh. 5, 16-17.) Und gerade an uns, den Gläubigen, die wir mit Gott, der vollkommen heilig ist, Gemeinschaft haben, und nicht nur, wie das gläubige Israel, Gottes Volk, sondern Seine Kinder sind, sollte innerlich und äußerlich alles rein und heilig sein; und doch fehlen wir, leider vielfältig. Wie unerlässlich ist da der Dienst unseres Herrn, damit wir bis ans Ende Gott gemäß durch diese Welt gehen, und wenn wir unsere Füße beschmutzt haben, wieder gereinigt und in die volle Gemeinschaft mit Gott, dem Vater, und mit Ihm, unserem Heiland und Sachwalter, dem Sohn Gottes, zurückgebracht werden!

Der Herr hat uns "eine ewige Erlösung" erworben (Hebr. 9,12), und Er ist die volle "Sühnung" für alle unsere Sünden; darum kann Er als "der Gerechte" für die an Ihn Glaubenden beim "Vater" einstehen und sie fürbittend mit Erfolg vertreten (1. Joh. 2,1-2). {Die Hohepriesterschaft wird immer mit "Gott" verbunden (Heb 2,17; 5,10; 7,3), die Sachwalterschaft jedoch mit dem "Vater" (1. Joh 2,2), weil dort die engen "Familien"beziehungen im Vordergrund stehen.}

Die erste Frucht der Fürbitte des Herrn, wenn wir ge fehlt haben, ist wohl, dass uns durch Gottes Wort unter der Wirksamkeit des Heiligen Geistes die Sünde zum Bewusstsein gebracht wird und wir mit göttlichem Schmerz darüber betrübt sind. Wir sehen das bei Petrus. Der Herr hatte für ihn gebetet, ehe er fiel. Als er aber im blinden Selbstvertrauen voranging und den Herrn verleugnet hatte und in dieser Verleugnung sogar immer furchtbarere Worte gebrauchte, da warf ihm der Herr einen Blick zu. Dann lesen wir: " Und Petrus erinnerte sich an das Wort Jesu, der gesagt hatte" {Mat 26,74}.

Das Wort des Herrn und Sein Blick brachten Petrus zur Einkehr und Reue. "Er ging hinaus und weinte bitterlich." So ist es auch jetzt: Das Wort Gottes und der Heilige Geist, der jetzt an der stelle Christi hier wohnt, wirken, wenn wir gefehlt haben, in der Seele wahre Reue, Selbstgericht und Bekenntnis. Aber die Ursache davon ist des Herrn treue Fürbitte, die vorhergeht. Mit dem Bekenntnis kommt auch die fest zugesagte Vergebung: "Wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist Er treu und gerecht (also nicht nur gnädig und barmherzig), dass Er uns die Sünden vergibt und uns reinigt von aller Ungerechtigkeit" (1. Joh. 1,9).

Also das Wort Gottes, das uns beugt, das richtet uns auch wieder auf. Es zeigt den Schmutz und nimmt ihn weg. Es deckt auf und reinigt. Es deckt zu und heilt. Auch dies sehen wir bei Petrus, als der Herr mit ihm ernste aber gesegnete, heilende Worte am See Tiberias wechselte. Und wenn das Wort Gottes seine Wirkung getan hat, genießt die Seele wieder die kostbare Nähe und Gemeinschaft Gottes, des Vaters, und Seine unwandelbare Liebe.

Wie nötig und gesegnet ist der Dienst unseres Herrn zur Rechten Gottes! Sein Name sei gepriesen!

Wer von den Gläubigen, im Gegensatz zu dieser herrlichen Wahrheit, meint, noch tagtäglich seine Vergehungen im Blut Christi tilgen zu müssen, und immer wieder als ein "armer Sünder" kommt, der kennt die innige und ewige Stellung eines Kindes Gottes nicht, zugleich entehrt er Gott, tut dem vollkommenen Opfer Christi mit Seiner ewigen Er lösung Abbruch und betrübt den Heiligen Geist.

Ein solcher Christ gleicht in gewisser Hinsicht Mose, der, nachdem er den Felsen einmal geschlagen hatte, nur noch mit ihm reden sollte. Als er ihn doch zum zweiten Mal schlug, erzürnte er Gott tief. (2. Mose 17,5-6 und 4. Mose 20,9-12.) Der Fels war Christus (1. Kor. 10,4). Er ist für uns am Kreuz geschlagen worden; und dieses Opfer ist ein ewiges vollgültiges; es hat alle "auf immerdar vollkommen gemacht", die darauf bauen und nun durch das Wort der Wahrheit geheiligt, d. h. mehr und mehr Gott gemäß im praktischen Leben dargestellt werden. (Vergl. Hebr. 10,14-18; Joh, 17,16-17.)

Der Sünder kommt sozusagen zu Christi Kreuz und Opfer, der Gläubige aber zu Christus selbst, dem Auf erstandenen und Verherrlichten, der sein Erlöser ist, und durch Ihn zu Gott, dem Vater. Der Gläubige ist, seitdem er durch Christi Blut gerechtfertigt und mit Gott "ver söhnt" ist (Röm. 5,9-10; Eph. 2,13), Gott für immer "nahe gebracht"; er ist ein Kind Gottes, ein ewig unzertrennliches, lebendiges Glied von Christus im Himmel und ein Tempel des Heiligen Geistes geworden. In dieser herr lichen Stellung betrachtet Gott ihn; und dieser Stellung gemäß soll der Gläubige sich selbst betrachten und ihr gemäß Gott, dem Vater, und dem Herrn Jesus voll Zuversicht nahen und mit Ihm reden.

Wie schmerzlich ist es daher, dass so viele Gläubige immer wieder neu den Grund legen wollen zu ihrer ewig herrlichen Stellung und darum auch nicht fortschreiten zum vollen Wuchs "der Fülle des Christus" (Eph 4,13). Welch ein Verlust! Darum möchte ich von dieser Stellung noch weiter mit dir reden. Doch für heute sei es genug!

So sei dem Herrn und Seiner Obhut zur Bewahrung aufs neue befohlen! Er ist treu, Er wird es auch tun. Seine Hände sind immer segnend über uns gehoben.

In Ihm in treuer Liebe

dein ...