Das anvertraute Zeugnis bewahren (17. Brief)

Lieber ...,

ich habe gottesfürchtige Greise gekannt, die das Ende ihres Weges herannahen sahen. Sie erteilten dann ihren jungen Brüdern Ratschläge im Gedanken, dass diese jungen Brüder zu ihren Nachfolgern im Zeugnis bestimmt wären. Menschlich gesprochen lag die Möglichkeit nahe, sogar die Wahrscheinlichkeit, dass es so kommen würde, aber sie vergaßen, dass ihre Ratschläge, die sie im Blick auf das Fortbestehen des Zeugnisses erteilten, stets zur Voraussetzung hatten, dass das Kommen des Herrn noch fern sei.

Wenn ich nun heute diese Zeilen an euch richte, so tue ich es nicht, um mit euch darüber zu reden, welche Rolle ihr nach dem Abschied eurer Führer übernehmen müsst. Ich möchte euch vielmehr die Tatsache zum Bewusstsein bringen, dass die Zeit, in der ihr noch für den Herrn ein Zeugnis ablegen könnt, rasch ihrem Ende entgegeneilt, ja, dass es "die letzte Stunde" ist, in der wir uns befinden {1. Joh 2,18}. Ich bin gewiss, dass auch ihr selbst von dieser Wahrheit überzeugt seid, weil das Wort Gottes doch wohl euer ständiger Führer ist.

So möchte ich denn zunächst darauf hinweisen, dass die Vernachlässigung des Wortes Gottes die große Gefahr ist, der die jungen Brüder in unserer Zeit ausgesetzt sind. Es ist vor allen Dingen mein Wunsch, die jungen Christen darauf hinzuweisen, dass sie sich nicht mit einer eiligen Lektüre der Bibel zufrieden geben möchten, als ob sie sich einer Pflicht entledigten, wenn sie das Wort Gottes lesen. Nein, ich möchte euch gern eure Bibel lesen sehen unter Gebet und mit dem heißen Wunsch, durch den Heiligen Geist belehrt zu werden, um Gottes Wort zu verstehen.

Zu diesem Zweck dürften euch einige Ratschläge nützlich und willkommen sein: Beginnt mit dem Studium desjenigen Teils der Heiligen Schrift, den der Herr euch zeigt. Lest diesen Abschnitt genau, lest ihn mehrmals von Anfang bis zu Ende. Merkt euch die wenigen Wahrheiten, die e uch auffallen. Ihr empfangt sie direkt von Dem, der da will, dass ihr auf Seine Belehrung hört und achtet. Sehr wahrscheinlich wird euer Gewinn zuerst nur gering sein, aber er wird euch um so kostbarer sein, je mehr ihr ihn unmittelbar vom Herrn hinnehmet, und das im Gefühl eurer geistlichen Armut; diese Erfahrung ist euch nützlich.

Nachdem ihr den Abschnitt gelesen und dabei vielleicht nur erst dürftige Ergebnisse festgestellt habt, nehmt die guten "Betrachtungen über das Wort Gottes" {von J. N. Darby, auch unter dem Namen "Synopsis" bekannt} zur Hand oder auch andere gute Schriften. Ihr werdet dann über die Ströme von Licht erstaunt sein, und sie werden eure schwache Erkenntnis unter Gottes Hand vermehren. Die Seelen, die an diesen Schriften achtlos vorübergehen, bleiben in der Regel sehr unwissend hinsichtlich der Gedanken Gottes. Bei den einen ist es sträfliche Trägheit, dass sie die Schriften nicht benutzen, sie scheuen die Mühe, mit ihnen Gottes Wort zu erforschen. Sie missachten die Gabe Gottes, indem sie sich ihrer nicht bedienen. Andere wieder bilden sich ein, die Kenntnisse, die sie durch jene Schriften aus Gottes Wort erlangen könnten, auch ohne ihre Hilfe sich erwerben zu können. Wie oft muss man bemerken, dass die Überhebung dieser Christen sich rächt; es ist erstaunlich, wie unwissend sie oft sind über die einfachsten Wahrheiten in Gottes Wort gegenüber vielleicht manch jungen Christen, die in der Furcht des Herrn sich bemühen, mit den wertvollen Schriften, von denen wir reden, unsere Stellung und Segnungen in Christus, sowie überhaupt die Gedanken Gottes, kennen zu lernen. Die alten Brüder, die euch, ihr lieben jungen Brüder, vorangegangen sind, haben sich von diesen Schriften genährt und sind in der Erkenntnis Christi und der Wahrheiten des Wortes Gottes durch sie befestigt worden. Wie notwendig ist das! Das Wort Gottes ist unser Schutz und Schirm gegen die vielfältigen Gefahren in der gegenwärtigen schweren Zeit. Überzeugt euch davon, so möchte ich euch bitten, indem ihr z. B. den zweiten Timo theusbrief lest, ihn erforscht und darüber ernstlich sinnt.

Liebe jungen Brüder, darf ich fragen, ob ihr in den Grundwahrheiten genügend befestigt seid? Ohne dies ist es euch unmöglich, das euch anvertraute Zeugnis zu bewahren? Fühlt ihr den ungeheuren Wert aller der kostbaren Wahrheiten, die "von Anfang" waren? (1. Joh. 2,24,) Wenn nicht, wie könnt ihr sie festhalten und darstellen inmitten der vielen Sekten, Richtungen und Parteiungen der bekennenden Christenheit? Und doch seid ihr verantwortlich, das zu tun. So hat der Herr euch ein großes Vorrecht geschenkt, an der Aufrechterhaltung Seines Zeugnisses, bis Er kommt, teilzunehmen, denn das gegenwärtige Zeugnis ist das letzte vor Seiner Wiederkunft. Ein anderes wird es nicht mehr geben. Der Herr ist nahe. Es ist eine ernste Sache, diesem Zeugnis nur äußerlich anzugehören; dann verliert ihr den Segens dieses Zeugnisses, sowie auch die Belohnung, für dieses Zeugnis einzustehen. Es ist in der Tat ein großer Segen, mit dem Zeugnis, das der Herr "in den letzten Tagen" errichtet hat, verbunden zu sein. Aber hieran knüpft sich auch eine große Verantwortung. Gehen wir leichtfertig über diese Verantwortung hinweg, so laufen wir Gefahr, am Ende unseres Weges die verheißene Belohnung zu verlieren: eine Krone, die niemals wieder erlangt werden kann.

Wenn Gottes Wort euch teuer und gut bekannt ist, so wisst ihr auch, worin das gegenwärtige Zeugnis besteht, an dem auch ihr, dem Bekenntnis nach, teilnehmt. Wenn Gott es euch anvertraut hat, so werdet ihr wissen, dass das Zeugnis darin liegt, die herrlichen Wahrheiten aufzunehmen und festzuhalten, die zur Zeit des großen Gnadenwerkes der Reformation nur zum Teil wieder ans Licht kamen, zumeist aber leider den Seelen damals noch unbekannt blieben. Und doch hatte der Geist Gottes sie den ersten Christen durch den Dienst der Apostel mitgeteilt. Diese Wahrheiten, die alle "von Anfang" waren und sind (1. Joh. 2,1; 2,7.24), reden von unserer himmlischen Stellung in Christus und von unserer Befreiung in Ihm, ferner von der Innewohnung des Heiligen Geistes in uns und von anderen Segnungen und Gaben des Herrn vom Himmel her an Seine Versammlung oder Gemeinde: Sie ist ein Leib. Ihr verherrlicht Haupt ist Christus. Und Er, der Herr, kommt wieder, kommt bald. Dies ist die beständige Hoffnung Seiner Braut. - Dazu kommen verschiedene prophetische Wahrheiten, die bei den Gläubigen eine wahre Trennung von der Welt bewirken; sie müssen der Welt die ernsten Endgerichte, die über die abtrünnige Christenheit hereinbrechen, ankündigen.

Sollten euch diese Dinge noch unbekannt sein, so habt ihr vielleicht noch Zeit, euch mit ihnen aus Gottes Wort bekannt zu machen. Es ist „die elfte Stunde" {Matth 20,6}. Doch wisst, dass es nicht genügt zu sagen: "Ich kenne sie." Der Herr, der sie euch anvertraut hat, erwartet, dass wir alle darin wandeln .

Einige meiner jungen Brüder, die dem Herrn treu zu dienen begehren und sich von Seinem Wort nähren, könnten im Blick auf den Verfall um uns her mutlos werden. Wie oft haben sie ja auch in unserer Mitte sagen hören, dass das Zeugnis Gottes durch unsere Schuld - die Schuld al l der Seinen - zerstört worden sei, und dass dieses nicht mehr nach den Ratschlüssen Gottes in seiner ursprünglichen Kraft und Frische wiederhergestellt werden könne. Diesen Brüdern dürfen wir die Worte des Apostels zurufen, die er bei seinem Abschied dem Jüngling Timotheus noch zuruft: "Gott hat uns nicht einen Geist der Furchtsamkeit gegeben, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. So schäme dich nun nicht des Zeugnisses unseres Herrn . . .!" (2. Tim. 1,7-8.)

Unsere Untreue hat an diesem Zeugnis nichts geändert. Lest oft, ich wiederhole es, den zweiten Brief an Timotheus. Es ist der Brief des Endzeugnisses und der untrüg lichen Hilfsquellen, die Gott uns inmitten des allgemeinen Verfalls der bekennenden Christenheit, bis zum Schluss unseres Weges und Seines Zeugnisses auf der Erde gegeben und gelassen hat. Ihr findet dort, dass von Seiten Gottes sich nichts geändert hat: Seine Gnade, das göttliche Leben, der Heilige Geist, der feste Grund Gottes, die Heiligen Schriften, die Arbeit für den Herrn sind, wie uns die einzelnen Teile des Briefs bezeugen, uns gegeben und uns geblieben. So kann denn der Herr auch heute noch genau so geehrt werden wie in den ersten Tagen der Christenheit. Darum ruft uns der Apostel zu: "Doch der feste Grund Gottes steht und hat dieses Siegel: 'Der Herr kennt, die Sein sind und: ,Jeder, der den Namen des Herrn nennt, stehe ab von der Ungerechtigkeit!" {2. Tim 2,19.}

Ihr lieben jungen Brüder, alle von euch, die bis jetzt auf dem Weg treu vorangegangen sind, werdet nicht mutlos! Harrt aus auf dem Weg des Glaubens, der Hingabe an Christus und der Trennung von aller Art des Bösen! Seid versichert (und wir, die wir euch auf dem Weg vorangegangen sind, können es aus Erfahrung bestätigen) nur auf dem Weg der Treue werdet ihr Ruhe, Freude, Frieden, Bewahrung und Stärkung und Segen finden und zum Segen sein.

Vergesst nicht, so möchte ich euch zum Schluss noch sagen, dass alles praktische Christentum sich auf zwei Pfeiler stützt: das Wort Gottes und das Gebet. Ohne das Ge bet könnt ihr keine Gemeinschaft mit dem Herrn pflegen; ohne das Gebet wird euch auch das Wort Gottes nur ein toter Buchstabe sein. Und ohne das Wort Gottes wachst ihr niemals in der Erkenntnis Gottes und Christi, und ihr lernt weder euch selbst noch die Welt kennen, auch nicht die Vergangenheit und Gegenwart und Zukunft. Auch findet ihr nicht anderswo Kräftigung für den inneren Menschen, noch die Weisheit und Gnade, Gott wohlzugefallen und euren Erlöser und Herrn in dieser finsteren Welt in Seiner Furcht zu verherrlichen. Seid dem Herrn befohlen!

Euer euch in Ihm liebender ...