KAPITEL 11

Mit dem ersten Verse dieses Kapitels, worin der Apostel, wie wir gesehen haben, die Korinther er­muntert, seine Nachahmer zu sein, schließt er seine Anordnungen in bezug auf die verschiedenen an ihn gerichteten Fragen und beginnt mit dem zwei­ten Verse namentlich über ihr Verhalten in den Versammlungen zu sprechen. Bei dieser Gelegen­heit stellt er, besonders in den folgenden Kapiteln, die Lehre von der Gegenwart und der Wirksamkeit des Heiligen Geistes in der Gemeinde sehr klar ans Licht, welche Lehre zu allen Zeiten von der höchsten Wichtigkeit ist.

Zunächst lobt der Apostel die Korinther, dass sie seiner in allen Dingen gedachten und an den von ihm empfangenen Überlieferungen festhielten (Vers 2). Dann gibt er Vorschriften über das Ver­halten der Frauen beim Beten, dass sie nämlich nicht beten sollten, ohne ihr Haupt bedeckt zu haben. Er entscheidet diese Frage einfach durch das, was anständig und geziemend war, indem er zugleich die erhabensten Grundsätze des Christentums zur Grundlage seiner Beweisführung stellt. Er zeigt die Beziehung und deren Ordnung, die zwischen dem Manne, als dem Träger der Herrlichkeit Gottes, und Gott selbst besteht, und bringt auf diese Weise den Menschen und sein Verhalten mit Gott selbst in Verbindung. «Ich will aber, dass ihr wisset, dass der Christus das Haupt eines jeden Mannes ist, des Weibes Haupt aber der Mann, des Christus Haupt aber Gott» (Vers 3). Dies ist die Ordnung der Macht, die bis zu Gott selbst, Der der Höchste ist, hinaufsteigt; und Seine Ehre ist der einzig wahre Beweggrund, der in jedem Verhältnis uns leiten soll. Betete nun der Mann mit bedecktem Haupt vor andern, so entehrte er sein Haupt, nämlich Chri­stus, und betete das Weib unbedeckt, so entehrte sie ihr Haupt, den Mann (Verse 4. 5). Es wurde aber nicht nur die gegenseitige Beziehung verletzt, sondern es war auch zugleich ungeziemend. «Denn wenn ein Weib nicht bedeckt ist, so werde ihr auch das Haar abgeschnitten, wenn es aber für ein Weib schändlich ist, dass ihr das Haar abgeschnitten oder sie geschoren werde, so lass sie sich bedecken» (Vers 6). Der Mann hatte sein Haupt nicht zu be­decken, weil er eine Autorität darstellte und in die­ser Stellung mit der Herrlichkeit Gottes, als Bild desselben, bekleidet war. Keine Macht auf Erden ist über ihm, und darum darf er auch keine Macht auf seinem Haupte haben. Das Weib aber musste ihr Haupt bedecken zum Beweise ihrer Unterwür­figkeit unter den Mann; ihre Bedeckung war ein Zeichen der Macht, der sie unterworfen war; sie war des Mannes Ehre und Herrlichkeit (Vers 7).

Es ist überaus wichtig, über die Gedanken Gottes in betreff der Beziehung zwischen Mann und Weib Einsicht zu haben. Bei der Schöpfung sehen wir ganz deutlich, dass der Mann sowohl das Haupt des Weibes, als auch das der Schöpfung ist. Das Weib steht unter ihm und nimmt gleichsam den zweiten Rang unter den vernünftigen Geschöpfen ein. «Denn der Mann ist nicht vom Weibe, sondern das Weib vom Manne; denn der Mann wurde auch nicht um des Weibes willen geschaffen, sondern das Weib um des Mannes willen» (Vers 8. 9). Gott selbst hat den Mann zum Herrn der Schöpfung gemacht; und wie tief auch der Mensch gefallen sein mag, so bleiben doch die Gedanken Gottes bezüg­lich der Ordnung in der Schöpfung immer diesel­ben. Auch Jakobus bezeugt, dass der Mensch «nach dem Bilde Gottes geworden ist» (Kap. 3, 9); und obgleich er in betreff seines Zustandes nötig hat, von neuem geboren zu werden, um das Bild Gottes zu sein, so bleibt er doch in betreff seiner Stellung in der Welt, als Haupt und Mittelpunkt aller Dinge, eine Stellung, die ein Engel nie inne hatte — das Bild Gottes. Das Weib ist die Teilnehmerin seiner Herrlichkeit; doch ist sie ihm unterworfen. Wenn nun auch dieses Bild in seiner vollkommenen Schönheit hinsichtlich des Mannes in Christus, und hinsicht­lich des Weibes in der Kirche oder Versammlung gesehen wird, so bleibt es doch immer wahr in sich selbst und behält als göttliche Ordnung seine Rechte. Und aus diesem Grunde sollte auch schon «um der Engel willen» das Weib eine Macht auf dem Haupte haben (Vers 10), um vor ihnen, den Zuschauern der mannigfaltigen Weisheit Gottes, die Ordnung jener Beziehung nach den Gedanken Gottes zu offenbaren, damit auch hierin die wunder­bare Wirkung der vollbrachten Erlösung von ihnen gesehen und bewundert werde. Um nun aber den Mann vor Überhebung und das Weib vor Klein­mut zu bewahren, fügt der Apostel die Worte hin­zu «Dennoch ist weder das Weib ohne den Mann, noch der Mann ohne das Weib im Herrn. Denn gleichwie das Weib vom Manne ist, also ist auch der Mann durch, das Weib, alles aber von Gott» (Verse 11. 12). Beide sind eins in Christus; kein Teil kann ohne den andern sein; beide bedürfen einander nach Gottes eigener Anordnung; beide kommen von Ihm her und sollen sich, ungeachtet jener Unterwürfigkeit des Weibes, als Gottes un­mittelbare Geschöpfe betrachten, die in Christus völlig eins sind. Hier handelte es sich einfach um die Frage des Anstandes in betreff des Weibes, wenn sie vor den Augen anderer betete. «Urteilt bei euch selbst: Ist es anständig, dass ein Weib unbe­deckt zu Gott bete?» (Vers 13). Zugleich beruft sich der Apostel auf die Anordnung der Natur. Das lange Haar war eine Schande für den Mann, wo­gegen es für das Weib eine Ehre und ein Schmuck war. Ihr langes Haar gab aber schon ganz deutlich zu verstehen, dass sie eine Macht auf ihrem Haupte haben sollte, und es ihr nicht gestattet war, sich mit der Freimütigkeit ihres Mannes vor allen darzustellen. Ihr Haar, als ein Schleier gegeben, gab diese Bescheidenheit und Unterwürfigkeit zu er­kennen und zeigte, dass hierin ihre besondere Ehre und ihre wahre Stellung hienieden bestände (V. 15).

Der Apostel hat nun nach allen Seiten hin diese Sache beleuchtet und ihr nach den Gedanken Got­tes den ihr gebührenden Platz angewiesen. Zugleich aber haben wir darin einen neuen Beweis von der Milde und Langmut Gottes, womit Er selbst in den untergeordnetsten Dingen bemüht ist, den schwachen Gläubigen hienieden zu leiten und zu unterweisen; und darum ist es um so betrübender, wenn diese Bemühungen Gottes übersehen und Seine liebevollen und langmütigen Unterweisungen nicht beachtet werden und wir im Gegenteil nach unserm eigenen Gutdünken handeln oder gar die Gedanken Gottes beurteilen und Einrede dagegen machen. Der Apostel kannte sehr wohl diese traurige Nei­gung des menschlichen Herzens und suchte ihr schon im voraus mit den Worten zu begegnen: «Wenn es aber jemanden gut dünkt, streitsüchtig zu sein, so haben wir solche Gewohnheit nicht, noch die Versammlungen Gottes» (Vers 16).

Der Apostel spricht nun von der Art und Weise ihres Zusammenkommens; und wenn er sie auch wegen ihrer Folgsamkeit hinsichtlich der empfan­genen Überlieferungen (Vers 2) loben konnte, so konnte er es doch in dieser Beziehung nicht, weil sie «nicht zum Bessern, sondern zum Schlechtern», zum Niedergang zusammenkamen (Vers 17). Es offenbarte sich in ihren Zusammenkünften ein Geist des Zwiespalts, der das Band der Einheit gänzlich zu zerreißen drohte, und welcher, falls er nicht gehemmt wurde, die Versammlung in offen­bare Sekten oder Parteien zertrennen musste. Diese wurden dann zur Heilung des Schadens sogar not­wendig, um den Bewährten die Augen zu öffnen und ihnen Gelegenheit zu geben, sich als solche durch Absonderung von denselben zu offenbaren (Vers 19). Für sie wurde alsdann der Schaden zum Segen gewandt.

Dieser Zwiespalt oder Parteigeist zeigte sich nun zunächst beim Abendmahl, bei der Gedächtnisfeier des Todes des Herrn, und zwar auf eine so trau­rige Weise, dass der Apostel zu ihnen sagen musste: «Wenn ihr nun an einem Orte zusammenkommt, so ist das nicht des Herrn Abendmahl essen. Denn ein jeder nimmt sein eigenes Abendmahl vorher beim Essen, und einer ist hungrig, der andere aber ist trunken» (Verse 20. 21). Gerade das Abendmahl, das in einer besonderen Weise der Einheit des Lei­bes, d. h. der Versammlung, seinen wahren und wesentlichen Ausdruck verleiht, offenbarte in der Versammlung zu Korinth den traurigsten Zwiespalt. Viele dachten nur an sich und nicht an die Ver­sammlung. Durch Selbstsucht geleitet, kamen sie an den Ort ihrer Zusammenkünfte, warteten nicht auf die übrigen, sondern nahmen ihr eigenes Abendmahl vorab, aßen und tranken, während die später Kommenden hungrig waren. Welch eine Unehre für den Herrn und welch eine Verunstaltung der Feier Seines Todes! Hungrige und Trunkene waren ver­sammelt, um das Abendmahl des Herrn zu halten. Das war in der Tat eine höchst unwürdige Weise, wodurch der wahre Charakter des Zusammenkom­mens als Versammlung Gottes und der ernste und feierliche Zweck desselben gänzlich verloren ging. Selbstsucht und Zwietracht erfüllten die Herzen derer, die zusammengekommen waren, um den Tod Dessen zu feiern, der die Liebe ist, der sich selbst zu nichts gemacht und sich für alle dahingegeben hatte. Der Tod, den zu verkündigen sie gekommen und dessen Gedenkzeichen vor ihnen ausgebreitet waren, war gerade der höchste Beweis dieser Liebe und Hingebung. Wie unwürdig war es nun, hier an sich selbst zu denken, Parteizwecke zu verfol­gen, ein verzagtes Herz für andere oder gar für die Versammlung Gottes zu haben, wofür Christus Sein kostbares Blut vergossen hatte, ohne Mitgefühl für die Armen zu sein, ja, wie unwürdig, hier mit seinen leiblichen Bedürfnissen beschäftigt zu sein, oder gar die Begierden seines Fleisches zu befriedigen! Das war in der Tat nicht mehr «das Abendmahl des Herrn essen». Sie machten Seinen Tisch zu dem ge­wöhnlichen Tisch eines Menschen und entweihten ihn. Sie kamen nicht mehr, um ihre geistlichen, son­dern um ihre leiblichen Bedürfnisse zu befriedigen; und deshalb fragt der Apostel: «Habt ihr denn nicht Häuser, um zu essen und zu trinken? oder verach­tet ihr die Versammlung Gottes und beschämt die, welche nichts haben?*)» (Vers 22).

*) Wir können nicht annehmen, dass es sich an dieser Stelle um Arme und Reiche handelt: denn die Worte: «Der eine ist hungrig, der andere ist trunken» (Vers 21) können sich, im Zusammenhang mit der Belehrung unmöglich mit Armen, die hungrig sind, und Reichen, die Überfluss haben, beziehen. Der Apostel sagt: «Wenn ihr als Versammlung zusammenkommt». In Vers 22 richtet er sich wie­der an Alle und fragt: «Habt ihr denn nicht Häuser, um zu essen und zu trinken?» Der Apostel will vor allem der eingerissenen Unordnung, welche das Mahl des Herrn zu einem gewöhnlichen Mahl herabwürdigt, wehren; man soll also nicht zum Mahl des Herrn kommen, um den Hunger zu stillen; darum soll der Reiche und der Arme zu Hause essen. «Die welche nichts haben» (Vers 22) sind also nicht Arme, sondern solche, welche an dem Tische des Herrn, nichts mehr vorfanden, weil die, welche nicht auf sie gewartet hatten, alles vorweggenommen hatten. Das konnten Arme und Reiche sein, welche nun «be­schämt» dastanden.

Dadurch, dass ein jeder sein eigenes Abendmahl, das er sich viel­leicht mitgebracht hatte, vorab nahm, wurde die Versammlung Gottes als solche nicht mehr gewür­digt, sondern im Gegenteil «verachtet», und der Arme, der nichts hatte, beschämt gemacht. In den beiden letzten Versen dieses Kapitels kommt der Apostel noch einmal hierauf zurück, indem er an­ordnend sagt: «Daher, meine Brüder, wenn ihr zusammenkommt, um zu essen, so wartet aufeinander. Wenn jemanden hungert, der esse daheim, auf dass ihr nicht zum Gericht zusammenkommt» (Verse 33, 34). Wohl war es löblich, wenn sie zum Essen zusammenkamen; aber sie sollten warten, bis die ganze Versammlung gegenwärtig war und das Essen gemeinschaftlich geschehen konnte; und damit nicht etwa jemand durch den Hunger versucht würde, dieser Anordnung entgegen zu handeln, sollte er vorher daheim essen. Ihre bisherige Handlungsweise war durchaus nicht lobenswert (Vers 22).

Der Apostel benutzt dann diese Gelegenheit, um ihnen den wahren Charakter und die Wichtigkeit des Abendmahls ans Herz zu legen und ihnen zu zeigen, welch ein Interesse dieser Gegenstand, wäh­rend unseres ganzen Wandels hienieden, in den Gedanken Gottes einnimmt. Schon die traurige Wir­kung, welche auf die Vernachlässigung und Geringschätzung dieser Anordnung folgte, bestätigte sehr bestimmt deren Wichtigkeit und bewies, wie sehr der Herr deren Beachtung wünschte. Der Apostel war im Begriff, von der Macht des Heiligen Geistes, geoffenbart in Seinen Gaben, zu sprechen, sowie von der Notwendigkeit, für die Ordnung und die Erbauung der Versammlung besorgt zu sein; bevor er aber dieses tut, stellt er zuerst das Abendmahl des Herrn als den erhabensten Gegenstand vor die Versammlung. Durch eine besondere Offenba­rung wurde es ihm mitgeteilt und dessen Fortdauer bestätigt (Verse 23—25). Dies lässt uns auf den großen Wert schließen, den der Herr in betreff unseres geistlichen Zustandes auf dasselbe legt. Der Tod des Christus, Sein dahingegebener Leib und Sein vergossenes Blut, wird als die Grundlage des ganzen Gottesdienstes vor unsere Seele gestellt. Auf dieses wunderbare Erlösungswerk ist die Kirche oder Versammlung gegründet, und alle ihre Segnungen­ sind davon abhängig. Ihre Errettung, ihre Freude in der christlichen Freiheit, die Gegenwart des Heili­gen Geistes, die Ausübung Seiner mannigfaltigen Gaben zu ihrer Auferbauung, kurz, alles hat seinen Ausgangspunkt in der Liebe Gottes und dem Opfer Christi. Der Heilige Geist gibt stets Zeugnis davon und ist bemüht, die Wichtigkeit derselben in den Herzen der Heiligen zu bewahren.

Der Herr selbst, ehe Er diese Welt verließ und zum Vater ging, forderte die Seinigen auf, durch die Feier des Abendmahles Seines Todes zu geden­ken. Seine eigene Freude, das Sehnen Seines eige­nen Herzens war es, bei jenem letzten Passahmahl diese Feier mit Seinen Jüngern zu begehen, damit sie von Seinen eigenen Lippen diese wunderbar köstlichen Worte hören möchten: «Dieses ist Mein Leib, der für euch, ist», und: «Dieser Kelch ist der neue Bund in Meinem Blute.» So wichtig auch jeder andere Zweck unseres Zusammenkommens sein mag, der Feier des Abendmahls gebührt der erste und vornehmste Platz. Keine andere Sache ist so geeignet, wie das Abendmahl des Herrn, uns unsere ganze Abhängigkeit und Nichtigkeit fühlen zu las­sen. Christus und Seine Liebe sind hier der alleinige Gegenstand unseres Herzens und unserer Anbetung; hier muss jeder Gedanke an uns selbst völlig ausgeschaltet sein. Bezeugt auch unser Gewissen, dass wir der Reinigung bedürfen und von Natur nichts anderes als arme, verwerfliche Sünder sind, so ver­kündigen uns doch die Pfänder Seiner Liebe, die wir hier vor uns haben, auf das völligste, dass wir für immer errettet und dass alle unsere Sünden aus­getilgt sind. Deshalb ist es auch ein Fest der Dank­sagung und der Freude und nicht der Seufzer und der Traurigkeit. Die innersten Gefühle der Liebe und der Anbetung werden daselbst geweckt. Es war in derselben Nacht, in welcher Jesus überliefert wurde und wusste, was Ihm alles bevorstand, als Er dieses Gedächtnis Seines Todes und Seiner Liebe einsetzte. So wie das Passahlamm den Auszug der Kinder Israel, der durch das in Ägypten darge­brachte Opfer bewirkt wurde, in Erinnerung brach­te, so sollte auch das Abendmahl des Herrn, das Opfer des Christus und die dadurch bewirkte Er­lösung von unsern Sünden in Erinnerung bringen. Christus ist jetzt in der Herrlichkeit und der Hei­lige Geist ist hernieder gekommen, aber unser Gedächtnis an Ihn soll nicht aufhören; und bei diesem Gedächtnis ist Sein dahingegebener Leib und Sein vergossenes Blut der hohe und erhabene Gegenstand vor unserer Seele. Wir haben stets das Vorrecht, die Gemeinschaft des verherrlichten Christus zu ge­nießen; aber beim Abendmahl vergegenwärtigen wir uns durch den Glauben den gekreuzigten und ha­ben teil an Seinem dahingegebenen Leibe und Sei­nem vergossenen Blute. Es ist nicht Christus, wie Er gegenwärtig ist, denn Sein Leib ist jetzt verherrlicht; noch handelt es sich um die Verwirklichung dessen, was Er ist, denn das würde kein Gedächtnis sein; sondern es ist die Erinnerung an das, was Er auf dem Kreuze war. Bei diesem Mahle ist der da­hingegebene Leib unseres Heilandes vor unsern Augen, und Sein vergossenes Blut nimmt alle unsere Gedanken und Gefühle in Anspruch. Es ist ein überlieferter und getöteter Christus, an Den wir gedenken. Unsere Gedächtnisfeier aber umfasst Ihn selbst, Seine eigene Person, und nicht nur den Wert Seines Opfers. Es ist auch nicht so sehr die Absicht des Geistes Gottes, uns in dieser Stelle die Wirkung Seines Todes vorzustellen, sondern viel­mehr das, was das Herz, beim Gedenken an Seinen Tod, an Ihn selbst kettet. Wir feiern «den Tod des Herrn». O, wie viele köstliche Gedanken knüpfen sich für uns an diese drei Worte «Tod des Herrn». Wie unermesslich ist die Gnade und Liebe, die sie in sich bergen, und wie unausforschlich der Wert und die Tragweite ihrer Wirkung! Durch sie wird das Gewissen völlig zum Schweigen gebracht und das Herz mit seliger Ruhe erfüllt. Zu gleicher Zeit aber sehen wir hier auch das Ende der Beziehung Gottes mit der Welt auf Grund der Verantwortlich­keit des Menschen; für sie, die Welt, bleibt nur das Gericht übrig. Dieser Tod hat jedes Band mit der Welt gelöst und die Unmöglichkeit jeder Be­ziehung zwischen Gott und dem Menschen, als Kind des ersten Adams ans Licht gestellt. Wir aber ver­kündigen diesen Tod (Vers 26), der uns das Leben brachte, der uns aus dem Verderben erlöste und alle unsere Sünden für immer wegnahm; wir feiern ihn als den Triumph über Welt, Sünde, Tod und Teu­fel, bis der verworfene Herr zurückkommt und uns zu sich in den Himmel aufnimmt, um uns dann in Vollkommenheit an dem gesegneten Bande teilneh­men zu lassen, das zwischen Ihm und Gott besteht. Welch eine frohe Aussicht in einem Augenblicke, wo uns die Fülle der Liebe Dessen entgegenströmt, der Seinen Leib für uns gegeben und Sein kostbares Blut für uns vergossen hat! Wir gedenken an Seine Liebe ; wir verkündigen Seinen Tod ; wir bekennen die Einheit des Leibes , die Einheit mit allen denen, die mit uns eines Brotes teilhaf­tig sind (Kap. 10, 17), und erwarten Seine Wiederkunft . Und der Herr selbst ist es, der un­sere Gedanken auf diese Anordnung richtet, und zwar in der rührendsten Weise, in derselben Nacht, als Er überliefert wurde. Es ist daher ganz natürlich, dass sich derjenige der Verachtung des Leibes und des Blutes schuldig macht, oder sich daran versün­digt, der auf eine unwürdige Weise daran teil­nimmt (Vers 27). Es handelt sich, hier nicht darum, wer am Tische des Herrn erscheinen darf, ob sich jemand dazu würdig fühlt, sondern einfach um die Art und Weise, in welcher er daran teilnimmt. Je­der Gläubige hat das Vorrecht dort zu sein, wenn ihn nicht irgendeine bestimmte Sünde davon aus­schließt. Wenn sich aber ein Christ nicht selber rich­tet, sondern auf eine leichtfertige Weise am Tische des Herrn teilnimmt, ohne das zu würdigen, was das Abendmahl vor seine Seele hinstellt und was Christus damit verbunden hat, und also zwischen dem Tisch des Herrn und einer gewöhnlichen Mahl­zeit keinen Unterschied macht, so verachtet und ver­unehrt er den dahingegebenen Leib und das vergos­sene Blut des Herrn, und es erfolgt Züchtigung. Des­halb sagt der Apostel: «Ein jeder aber prüfe sich selbst und also esse er von dem Brote und trinke von dem Kelche. Denn wer unwürdiglich, isst und trinkt, der isst und trinkt sich, selbst Gericht, indem er den Leib des Herrn nicht unterscheidet» (Vers 28. 29). Gegen eine solche Sorglosigkeit kann der Herr nicht gleichgültig sein. Er kann nicht zugeben, dass jene Sache, welche diesen Tod, den Er für die Sünde litt, darstellt, durch Sünde und Nachlässigkeit ent­weiht werde. Es würde nichts anderes bedeuten, als den Leib des Herrn selbst entweihen, und Christus, Der lieber sterben wollte, als erlauben, dass Sünde vor Gott sei, entehren. Und wie höchst verwerflich und unwürdig wäre es, wenn wir mit Seinem Tode, wodurch Er alle unsere Sünden tilgte, gleichgültig Sünde verbinden wollten! Geschieht aber dieses, unterscheiden wir nicht den Leib des Herrn, nehmen wir an dem Abendmahl des Herrn, diesem unsicht­baren Mittelpunkte der Gemeinschaft und dem Aus­druck Seines Todes für unsere Sünden, auf eine un­würdige und leichtfertige Weise teil, so wird uns Gott durch Züchtigung begegnen. Er wacht mit hei­ligem Eifer über das, was zur Heiligkeit bestimmt und wofür das Blut Seines Geliebten geflossen ist. Sobald wir aber vergessen haben, uns selber zu richten, dann tritt Er mit Seinen Züchtigungen ein, um uns zu bessern und zu reinigen. Diese Züchti­gungen können sogar bis zum Tode gehen. So ge­schah es in Korinth. «Deshalb sind viele unter euch schwach und krank und ein gut Teil sind entschla­fen», d. h. gestorben (Vers 30; vergl. 1. Joh. 5, 16. Jak. 5, 14. 15.)

Es ist also notwendig, dass wir uns selber richten. Dieses Selbstgericht besteht aber nicht nur in dem Bekennen begangener Sünden, sondern zu gleicher Zeit in der Verurteilung des Zustandes des Herzens, woraus das Böse hervorkam. Wir müssen uns selber richten, unsere Neigungen, unsere Nachläs­sigkeit, kurz alles, was nicht in Gemeinschaft mit Gott ist, oder dieselbe verhindert. Sobald dieses Selbstgericht in Wahrheit stattgefunden hat, sind wir von dem Bösen, wodurch wir uns befleckt hatten, gereinigt, und die Gemeinschaft mit Gott ist wieder hergestellt. Der Herr aber erwartet nicht nur unser Bekenntnis, sondern auch die Unterscheidung des Zustandes unseres Herzens, wodurch wir vor dem Fall, sei es in Gedanken oder in der Tat, be­wahrt bleiben und nicht nötig haben, vom Herrn gerichtet zu werden (Vers 31). Zu dieser Unter­scheidung sind wir aber nur dann fähig, wenn wir im Lichte wandeln, wie Gott selbst im Lichte ist. Sobald wir aber gefallen sind oder gleichgültig in Dingen vorangehen, woran Gott Sein Missfallen hat, und uns nicht selber richten, so tut es der Herr. «Wenn wir aber gerichtet werden, so werden wir vom Herrn gezüchtigt, auf dass wir nicht mit der Welt verurteilt werden» (Vers 32). Welch ein tröstliches Wort inmitten der Züchtigung! Der Herr ist immer für das Beste der Seinigen besorgt und deshalb kann Er uns nicht in einem unreinen Zu­stande hingehen lassen; aber wir können nicht «mit der Welt verurteilt werden», weil Christus für uns gestorben ist und alle unsere Sünden getilgt hat. Sein Tod ist das Fundament, auf das wir für immer gestellt sind; aber wir werden vom Herrn gezüch­tigt. Er kann unmöglich das Böse in Seinem Haus dulden, weil es sich mit Seiner Heiligkeit nicht ver­trägt. Er reinigt uns durch die Züchtigung und stellt uns wieder her; aber Er wird uns nicht mit der Welt verdammen. In Seinem Herzen ist nur Liebe gegen uns und kein Zorn mehr. Alle Seine Hand­lungen gegen uns haben die Liebe zur Quelle, selbst die Züchtigung. Ist ihre Ausübung auch ein Akt der Gerechtigkeit, so bezeugt sie doch aufs deut­lichste Seine unabläßliche Mühe und Fürsorge für die Seinen.