Der erste Brief an die Korinther

Betrachtung über den Brief des Apostels Paulus

Band II

Von H. C. Voorhoeve

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Diese Bibelauslegung erschien gedruckt um 1950 im Verlag R. Müller-Kersting, Zürich-Höngg, Limattalstr. 28.
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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Der erste Brief des Apostels Paulus an die Korinther verdient in hohem Maße das Interesse aller, welche Gottes Wort lieben und schätzen. Er gibt auf viele Fragen, die heute in bezug auf den inne­ren Zustand der christlichen Gemeinde gestellt wer­den, eine deutliche und bestimmte Antwort. Da ein richtiges Verständnis über Gottes Wort zu allen Zeiten und in jeder Hinsicht notwendig ist, wollen wir mit einfältigem Auge, mit nüchternem Sinn und gläubigem Herzen versuchen, dasselbe zu erfor­schen. Der Heilige Geist leite uns in Seiner Gnade!

Im vorliegenden Briefe sind Grundsätze festge­legt, die heute vielfach verkannt und verleugnet wer­den und daher keine oder nur wenig Beachtung fin­den, denn sie stehen vielfach in völligem Gegensatz zu dem, was einem großen Teil der Christenheit durch Überlieferung lieb und wert geworden ist und, weil allgemein gebilligt, nicht gerne abgelegt wird. Wenn wir uns jedoch unter die Autorität des göttlichen Wortes stellen, müssen menschliche Mei­nungen vor der Wahrheit weichen. Möchten wir uns alle unserer Verantwortlichkeit bewusst sein, und die Gedanken Gottes verwirklichen. Besonders in unserer Zeit des Unglaubens, der Verflachung und Verwirrung, der Eigenliebe und des Abfalls ist es notwendig, Gottes Wort als alleinige Richtschnur für unseren Wandel anzuerkennen, aber auch für unser Verhalten gegenüber Gott und der Welt, so­wie in bezug auf den christlichen Gottesdienst. Der Herr hat uns in keiner Weise im Ungewissen gelas­sen, sondern Seine Gedanken über alle diese Dinge mitgeteilt.

Wir hoffen und flehen zum Herrn, dass auch diese Betrachtung unter Seinem Segen dazu dienen möge, Seine Gedanken besser kennen zu lernen.

Einleitung

Der erste Brief an die Korinther behandelt man­cherlei Gegenstände, ganz verschieden von denen, die uns im Briefe an die Römer beschäftigt haben. Statt von den Heilswahrheiten des Christentums und den gesegneten Ergebnissen des Werkes Christi zu sprechen, behandelt er fast ausschließlich die Zustände der Versammlung, ihre Mängel und Ge­brechen.

Obwohl das Herz bei der Betrachtung dieses Briefes einerseits durch die traurige Schwachheit des Menschen, der in jeder Beziehung gefehlt hat, tief betrübt und niedergebeugt wird, so wird es an­dererseits durch das köstliche Zeugnis von der un­fehlbaren Liebe und Treue Gottes, der die Seini­gen selbst in dem beklagenswertesten Zustande nicht versäumt und nicht vergisst, erfreut und er­mutigt. In aller Geduld und Sanftmut unterweist der Herr die Gläubigen in Dingen, deren Erkennt­nis man bei jedem nüchternen und geistlichen Her­zen voraussetzen darf; und gerade dies macht den vorliegenden Brief so überaus wertvoll. Behandelt er auch insonderheit die Zustände der Versammlung zu Korinth, so finden wir doch in diesem Briefe für alle Zeiten, und besonders auch für die gegenwär­tige, gesegnete Belehrungen über die innere Ord­nung der Versammlung Christi und über die ver­schiedenen Beziehungen und Pflichten der einzelnen Glieder gegeneinander, auf die zu achten wir wohl tun.

Was war nun die Veranlassung zum Schreiben dieses Briefes? Zur Beantwortung dieser Frage ist es zunächst nötig, den Zustand der Versammlung etwas näher kennen zu lernen.

Nachdem der Apostel Paulus durch Mazedonien gereist war und Athen besucht hatte, kam er auch nach Korinth — eine reiche und blühende Stadt in Achaja (Apostelg. 18). Hier verkündigte er ein Jahr und sechs Monate das Wort Gottes. Viele Korinther, welche das Zeugnis von Christo, dem Gekreuzigten hörten, wurden gläubig; denn der Herr hatte «ein großes Volk in dieser Stadt». Reich­tum und Luxus gingen gepaart mit tiefster Sitten­verderbnis, dass Korinth selbst unter der Welt zum Sprichwort wurde. Nachdem er Korinth verlassen hatte, ging Paulus nach Ephesus und von da nach Jerusalem, um «das Fest zu feiern». Von Jerusalem lenkte er seine Schritte nach Antiochien, durchreiste wiederum Kleinasien und kam nach Ephesus, wo er nochmals zwei Jahre verblieb. Im Begriff, durch Mazedonien zu reisen und die Gemeinde in Korinth zu besuchen — seine Absicht war gewesen, von Ephesus aus über Korinth nach Mazedonien zu reisen, und die Versammlung sowohl auf dem Hin­weg, als auch wenn er von dort zurückkehrte, zu besuchen, «auf dass sie», wie er selbst sagt, «eine zweite Gnade hätten» (2. Kor. 1, 15. 16) — ver­nahm er «durch die Hausgenossen der Chloe» (Kap. 1, 11), teils durch umlaufende Gerüchte (Kap. 5, 1), teils durch einen Brief, welchen die Korinther ihm geschrieben hatten, um über einige Fragen Auskunft zu erbitten (Kap. 7, 1 usw.), dass viele verkehrte Dinge in ihrer Mitte vorhanden waren. Der stets geschäftige Feind des Werkes Gottes hatte nicht geschlummert und in der Abwesenheit des Apostels viel Schaden in der mit so mannigfachen Gnaden­gaben bevorzugten Versammlung angerichtet, der das schöne Werk wieder zu zerstören drohte.

Zunächst begann der Geist der Weltweisheit, der in Korinth auf einer so hohen Stufe stand, seinen verderblichen Einfluss geltend zu machen Streitig­keiten zu erwecken, Parteiungen hervorzurufen und somit die Versammlung ihres wahren Charakters, ihrer Einheit in Christus zu berauben und die ein­fache, göttliche Wahrheit mit der heidnischen Phi­losophie zu vermengen. Schon war man bemüht, gewisse Trennungen zu machen, wo der eine die­sem und der andere jenem huldigte, und entweder in Paulus oder in Apollos, oder Kephas, oder sogar in dem Herrn selbst das Haupt seiner Partei er­kannte und verehrte (Kap. 1, 12). Die unzähligen Parteien, in welche jetzt die Kirche Gottes auf der Erde zersplittert ist, liefern uns den traurigen Be­weis, wie sehr selbst unter den Gläubigen der menschlichen Weisheit gehuldigt wird, und wie sehr es also dem Feinde gelungen ist, seinem verderb­lichen Werke, wozu er in der Versammlung zu Ko­rinth den ersten Grund zu legen suchte, die wei­teste Ausdehnung zu verschaffen. Und ach! so tief sind diese Grundsätze der Weltweisheit eingewur­zelt, dass ihre traurigen Ergebnisse in der Kirche Gottes auf Erden nicht nur wenig erkannt und bedauert werden, sondern dass selbst Gläubige diesem verderblichen Machwerke des Feindes nicht selten das Wort reden, indem sie in den verschiedenen Parteien einen Vorteil für die allseitige Erkenntnis der Wahrheit zu erblicken meinen. Doch der Apostel dachte nicht so. Mit dem größten Ernst und mit der äußersten Entschiedenheit tritt er, namentlich in den ersten Kapiteln des vorliegenden Briefes, diesem schrecklichen Übel, das die Versammlung so bald zu verderben drohte, entgegen und sucht es in seinem ersten Keime zu ersticken; und wenn er in Kap. 11,19 sagt «Es müssen auch Parteiungen unter euch sein», so sagt er dies sicher nicht, um dieselben gutzuheißen, sondern, wie er selbst hinzufügt «auf dass die Bewährten unter euch offenbar werden» — nämlich jene, die sich nicht durch den Geist der heidnischen Philosophie, sondern durch den Geist Gottes leiten ließen und sich von allem Parteiwesen fern hielten.

Eine andere Gefahr drohte der korinthischen Versammlung in dem Einschleichen der Sittenverderbnis. Das üppige, sittenlose Wesen in der reichen Stadt Korinth fing an, seinen verderblichen Einfluss auch auf die dortige Versammlung auszuüben und viele zu verunreinigen. Namentlich war es die Sünde der Hurerei, gegen die der Apostel so ernst und entschieden auftreten musste. Er zeigt ihre gänzliche Verwerflichkeit vor Gott und ihre Verderben bringende Wirkung für die Heiligen Gottes, deren Stellung als Tempel Gottes und Glieder des Christus (Kap. 6, 15—19), durch diese Sünde völlig verunehrt und verleugnet wird.

Die dritte Gefahr endlich, welche die Versammlung zu Korinth bedrohte, war der Einfluss der falschen Lehrer, namentlich solcher, die aus dem Judentum waren. Diese suchten nicht nur Pauli Berufung und Autorität als Apostel, sondern auch die lautern Beweggründe in der Ausführung seines Amtes zu untergraben und zu verdächtigen und somit seine gesegnete Wirksamkeit zu vernichten. Das letztere war die unausbleibliche Folge des ersteren. War das Ansehen und die lautere Absicht des Apostels bei den Korinthern in Frage gestellt, so war es auch sein Wort und Werk. Dieses fiel und stand mit jenem. Aus diesem Grunde war der Apostel auch oft genötigt, sowohl in diesem, als auch in seinem zweiten Briefe, von sich selbst, von seinem Apostelamt und von seinem Verhalten unter den Korinthern zu reden. Das köstliche Vorrecht der Gläubigen späterer Zeit bis jetzt, auch die Schriften des Neuen Testaments als Autorität und als untrüglichen Prüfstein der Wahrheit zu besitzen, hatten jene noch nicht, und je mehr Gott durch Paulus in bezug auf die Versammlung Segnungen offenbarte, die im Alten Testament nur dunkel angedeutet oder auch gar nicht kund gemacht waren (Kap. 15, 51. 52; Ephes. 3, 2—6), ein um so weiteres Feld hatten die jüdischen Irrlehrer, die schwachen Seelen zu beeinflussen.

Heidnische Philosophie, Sittenverderbnis besonders die Sünde der Hurerei, und falsche Lehre waren also die drei Hauptübel, wodurch der Feind bemüht war, seinen verderblichen Einfluss auf die Versammlung in Korinth auszuüben und die gesegnete Wirksamkeit der Wahrheit zu zerstören. Wenn dort auch noch, einige andere Übelstände vorhanden waren, so hingen diese doch mit jenen genannten mehr oder weniger zusammen und waren meist nur der Ausfluss derselben.

Dies war also mit wenigen Worten der Zustand der korinthischen Versammlung, wie wir nachher aus dem Briefe selbst ersehen werden. — Paulus war in Ephesus, wo ihm der Herr eine große und wirkungsvolle Tür geöffnet hatte (Kap. 16, 9). Als er jedoch von all diesen Übeln hörte, gab er sein Vorhaben auf, jetzt schon Korinth zu besuchen. Denn unter den gegenwärtigen Umständen wäre er genötigt gewesen, von seiner apostolischen Gewalt (2. Kor. 10, 2—6) Gebrauch zu machen und unter seinen Kindern mit der Rute zu erscheinen (1. Kor. 4, 21); und dazu konnte seine große väterliche Liebe sich nicht entschließen (2. Kor. 1, 23). Er schreibt ihnen einen Brief und gedenkt, sie erst auf seiner Rückkehr von Mazedonien zu besuchen (1. Kor. 16, 5), bis zu welcher Zeit er von seinem Briefe einen gesegneten Erfolg erwartete, um dann mit Freuden unter ihnen sein zu können. Welch eine schonende Zärtlichkeit zeigt uns dieses Benehmen des Apostels! Und zugleich benutzte der Heilige Geist diese traurigen Zustände in Korinth, um der wunderbar lieblichen Kette der Offenbarungen Got­tes eine unschätzbare Perle hinzuzufügen.

Was nun die einzelnen Abschnitte dieses Briefes betrifft, so ist ihre Unterscheidung nicht schwer, weil der Übergang von dem einen Gegenstand zum andern meist ganz deutlich hervortritt. Ehe aber der Apostel mit den einzelnen Ermahnungen be­ginnt, ehe er irgend ein tadelndes Wort ausspricht, erwähnt er zuerst den unermesslichen Reichtum der Gnade, mit dem Gott die Korinther schon gesegnet hatte und noch ferner segnen würde. Diese Erwäh­nung und Anerkennung der empfangenen Gnade von Kap. 1, 1 – 9 bildet gleichsam die Einleitung zu diesem Briefe.

Darnach spricht er in den ersten Kapiteln nament­lich vom Charakter seines Dienstes, und indem er von den Spaltungen und der Weisheit dieser Welt redet, zeigt er deren völligen Gegensatz zu der Offenbarung und der Weisheit Gottes (Kap. 1 – 4).

In Kap. 5 spricht er von der Sittenverderbnis und vom Verhalten gegen solche Christen, die in offen­baren Sünden wandeln.

In Kap. 6 tadelt er das gegenseitige Rechten we­gen der irdischen Angelegenheiten und zeigt die Verwerflichkeit der Hurerei.

Kap. 7 behandelt die Frage des Heiratens, spricht zuerst von der Verpflichtung derer, die verheiratet sind, und ermahnt dann hauptsächlich, in der Stel­lung zu bleiben, in welcher man berufen ist.

Kap. 8 handelt vom Essen der Götzenopfer und stellt den allgemeinen Grundsatz fest, das schwache Gewissen nicht zu verletzen.

In Kap. 9 spricht der Apostel von seinem Amte, und dass er von seinem Rechte in demselben bei den Korinthern keinen Gebrauch gemacht und was ihn dazu veranlasst habe.

Kap. 10 zeigt, dass man mit der Kirche oder Ver­sammlung, mit der Taufe und dem Abendmahl in Verbindung sein und doch verloren gehen kann. Dann spricht er in demselben Kapitel von der Ge­fahr der Korinther, durch den Götzendienst oder durch die den Götzen geweihten Feste verführt zu werden, und erwähnt zum bessern Verständnis die­ser Sache das Mahl des Herrn.

In Kap. 11 haben wir das Verhalten in gottesdienstlichen Zusammenkünften, sowohl persönlich (Verse 1 und 16), als auch im allgemeinen.

Kap. 12 spricht vom wahren Charakter und der Ausübung der geistlichen Gaben.

In Kap. 13 zeigt der Apostel, dass die Liebe jede andere Gabe weit übertreffe.

Er fährt in Kap. 14 damit fort und spricht dann zugleich von der richtigen Anwendung der Gaben.

In Kap. 15 beweist er ausführlich die Lehre von der Auferstehung, die von etlichen geleugnet wurde, und die überaus wichtigen Folgen derselben und spricht am Schluss des Kapitels von der Verwand­lung der bei der Ankunft des Herrn übriggeblie­benen Lebenden und vom Triumph derer, die durch Auferstehung oder Verwandlung des verweslichen Leibes von den letzten Folgen der Sünde, d. h. dem Tode, für immer befreit sind.

In Kap. 16 endlich ermuntert der Apostel zu einer Kollekte für die Armen in Judäa, ermahnt die Ko­rinther, denen untertan zu sein, welche, ohne Be­rufung von Menschen, allein durch die Kraft des Heiligen Geistes sich selbst zum Dienste der Hei­ligen verordneten und darin treu erfunden würden — eine wichtige Wahrheit für alle Zeiten — , und schließt dann den Brief mit einigen Grüßen.